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BGH: Genugtuungsfunktion von Schmerzensgeld ist auch bei dessen Höhe zu berücksichtigen

Vor wenigen Wochen entschied der BGH (Az. VI ZR 409/19) dass bei der Bemessung von Schmerzensgeld der Genugtuungsgesichtspunkt nicht grundsätzlich außer Betracht bleiben dürfe und in diesem Zusammenhang auch ein dem Arzt aufgrund grober Fahrlässigkeit unterlaufener Behandlungsfehler zu berücksichtigen sei. Grobe Fahrlässigkeit sei allerdings nicht bereits dann schon deswegen zu bejahen, wenn ein grober Behandlungsfehler vorliege.

 

Was war geschehen?

Die Witwe eines wegen einer fehlerhaften ärztlichen Behandlung verstorbenen Patienten klagte ausgangs vor dem Landgericht Duisburg auf ein Schmerzensgeld in Höhe von 30.000 EUR. Hintergrund war, dass ihr Mann 2008 notfallmäßig in einem von der Beklagten betriebenen Krankenhaus aufgenommen wurde und dort eine Röntgenaufnahme sowie ein EKG einen Herzinfarkt nahelegten. Allerdings wurde ohne ersichtlichen Grund nicht sofort eine Herz-Katheteruntersuchung vorgenommen, sondern der Patient zunächst auf Normalstation verlegt. Dort erlitt er wenig später einen Herzstillstand, wurde reanimiert und erst dann wurde eine Herz-Katheteruntersuchung durchgeführt. Am nächsten Morgen verstarb der Patient an einem erneuten Herzstillstand.

Das erstinstanzliche Landgericht hatte die Klage der Witwe in Gänze abgewiesen, das mit der Berufung befasste Oberlandesgericht Düsseldorf sprach ihr ein Schmerzensgeld in Höhe von 2.000 EUR zu. Die darüberhinausgehende Berufung wies es aber ab, da allein ein grober Behandlungsfehler noch nicht schmerzensgelderhöhend sei. Maßgeblich sei vielmehr bei der Bemessung des Schmerzensgeldes in Arzthaftungssachen nicht die Genugtuungs-, sondern die Ausgleichsfunktion des Schmerzensgeldes. Dies deswegen, weil bei einem – auch fehlerhaft handelnden – Mediziner regelmäßig dessen Hilfsbestreben zugunsten seines Patienten im Vordergrund stehe und diesem kein Schaden zugefügt werden solle.

 

Das BGH-Urteil

In seinem Urteil vom 08.02.2022 wertete der BGH das anders, denn auch wenn bei einer ärztlichen Behandlung das Bestreben der Behandlerseite im Vordergrund stehe, dem Patienten zu helfen und ihn von seinen Beschwerden zu befreien, sei es nach Billigkeitsgesichtspunkten ein wesentlicher Unterschied, ob dem Arzt dabei ein grobes und möglicherweise die Grenze zum bedingten Vorsatz berührendes Verschulden zur Last falle, oder ob ihn nur ein geringfügiger Schuldvorwurf treffe. Ein aufgrund grober Fahrlässigkeit unterlaufener Behandlungsfehler könne deswegen dem Schadensfall sein besonderes Gepräge geben. Zu berücksichtigen sei dabei allerdings, dass ein grob fahrlässiges Verhalten nicht bereits dann bejaht werden könne, wenn ein grober Behandlungsfehler vorliege, denn ein solcher sei weder mit grober Fahrlässigkeit gleichzusetzen, noch komme ihm insoweit eine Indizwirkung zu. Vielmehr müsse für die Annahme einer groben Fahrlässigkeit auch eine subjektiv schlechthin unentschuldbare Pflichtverletzung vorliegen, welche das Außerachtlassen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt überschreite. Da das Berufungsgericht hierzu nichts feststellte und weil es der Genugtuungsfunktion des Schmerzensgeldes keinerlei Bedeutung beimaß, verwies der BGH das Verfahren zur erneuten Prüfung nach Düsseldorf zurück.

 

Fazit

Das Verfahren ist betreffend die Schmerzensgeldhöhe zwar noch nicht abgeschlossen, allerdings hat der BGH unmissverständlich klar gemacht, dass es bezüglich Schmerzensgeldansprüchen in Arzthaftungssachen wesentlich auf die Genugtuungsfunktion ankommt und diese nicht nur für die Begründung, sondern auch für die Höhe relevant ist.


RAin van Hövell, LL.M. Medizinrecht

lennmed.de Rechtsanwälte

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