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Eilmeldung: Paukenschlag-Beschluss des Bundesarbeitsgerichts zur Arbeitszeiterfassung

Der Beschluss vom 13.09.2022 des Bundesarbeitsgerichts (BAG) im Verfahren 1 ABR 22/21 (Pressenmitteilung) hat es in sich, denn obwohl die dort klagende Arbeitgeberseite eigentlich gewonnen hat, so geht gefühlt doch der beklagte Betriebsrat als Sieger aus dem Ring. Hauptstreitpunkt war eigentlich die durch den Betriebsrat eingeforderte Mitbestimmung zum Thema elektronische Arbeitszeiterfassung, doch en passant hat das BAG noch viel weitreichender entschieden. 

 

Hintergrund und Verfahrensgang 

Zwischen den klagenden Arbeitgeberinnen, die eine vollstationäre Wohneinrichtung als gemeinsamen Betrieb im Mindener Raum unterhalten, und dem beklagten Betriebsrat haben 2018 erfolglos Verhandlungen über den Abschluss einer Betriebsvereinbarung zur elektronischen Zeiterfassung stattgefunden. Der Betriebsrat beantragte darauf beim zuständigen Arbeitsgericht erfolgreich, dass eine Einigungsstelle mit dem Regelungsgegenstand "Abschluss einer Betriebsvereinbarung zur Einführung und Anwendung einer elektronischen Zeiterfassung" eingerichtet wird. Gegen diesen Beschluss legten die Klägerinnen Beschwerde ein, die vom Landesarbeitsgericht Hamm im April per Beschluss als unbegründet zurückgewiesen wurde. In der sog. Einigungsstellensitzung Anfang 2020 erklärten die Arbeitgeberinnen erneut, dass sie die Einigungsstelle als nicht zuständig erachten, weswegen in der Sitzung einstimmig beschlossen wurde, das Bestehen eines Mitbestimmungsrechtes gerichtlich klären zu lassen. So landete die streitige Rechtsfrage zum Thema elektronische Arbeitszeiterfassung erneut vor dem Arbeitsgericht Minden. Hier unterlag der Betriebsrat, gewann dann aber in der nächsten Instanz vor dem Landesarbeitsgericht Hamm. Hiergegen wandten sich wiederum die Arbeitgeberinnen in ihrer Sache erfolgreich, wie der BAG-Beschluss vom 13.09.2022 konstatiert. 

 

Das große Aber

Obwohl das BAG laut Pressemitteilung (eine Volltextveröffentlichung des Beschlusses liegt öffentlich zugänglich noch nicht vor) dem Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht für Sachverhalte, die bereits gesetzlich geregelt sind, abspricht, hält es aber ausdrücklich fest, dass Arbeitgeber grundsätzlich nach § 3 Abs. 2 Nr. 1 Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) verpflichtet sind ein System einzuführen, mit dem die von den Arbeitnehmern geleistete Arbeitszeit erfasst werden kann. 

 

Weshalb Paukenschlag?

Der § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG ist nicht neu. Schon seit dem 07.08.1996 heißt es dort, dass ein Arbeitgeber vor dem Hintergrund der Sicherheit und Gesundheit seiner Beschäftigten „für eine geeignete Organisation zu sorgen und die erforderlichen Mittel bereitzustellen“ hat. In seiner älteren Rechtsprechung legte das BAG diese Norm allerdings nicht so aus, als dass hierdurch eine explizite Verpflichtung zur Zeiterfassung statuiert werde. In unteren Instanzen rumorte es diesbezüglich in der jüngeren Vergangenheit allerdings. In der mündlichen Verhandlung vom 13.09.2022 hielt die Vorsitzende BAG-Richterin ausdrücklich fest, dass § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG bei europarechtskonformer Auslegung einen Arbeitgeber ohnehin verpflichtete, die Arbeitszeiten der Arbeitnehmer zu erfassen. 

 

Europäische Vorgaben zur Arbeitszeiterfassung

Vom Himmel gefallen ist dieser Ansatz allerdings nicht, vielmehr knüpften die obersten deutschen Arbeitsrichter nunmehr bei ihren Kollegen des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) an. Nach dessen sog.  "Stechuhr-Entscheidung" aus dem Jahr 2019 (Az. C-55/18) sind alle europäischen Mitgliedsstaaten in Befolgung einer bestimmten europäischen Arbeitszeitrichtlinie verpflichtet, ein objektives und verlässliches System zur Arbeitszeiterfassung zu schaffen. Und in diesem Lichte sei auch § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG zu sehen, womit hierzulande bereits eine gesetzliche Pflicht zur Arbeitszeiterfassung bestehe.  

 

Und nun?

Aus Arbeitgebersicht stellt sich jetzt natürlich die brennende Frage, wie genau das Thema Arbeitszeiterfassung im eigenen Betrieb umzusetzen ist. Ehrlicherweise sind aber die Folgen des BAG-Beschlusses vom 13.09.2022 noch nicht in Gänze absehbar, denn zumindest in der mündlichen Verhandlung wurde nur das „Ob“ behandelt, nicht aber das „Wie“. Sicher ist in diesem Zusammenhang deswegen nur eins: § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG und hieraus jetzt hergeleitet die Arbeitszeiterfassung gilt – übrigens ohne Umsetzungsfrist – für nahezu alle Arten von Beschäftigung (auch Teilzeit, Homeoffice, etc.) und für alle Betriebe. 

Es bleibt abzuwarten, ob und wenn ja welche Hinweise die schriftlichen Beschlussgründe weiter offenbaren. Geht man aber allein nach dem Gesetzeswortlaut des § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG, so dürfte bezüglich des Themas Zeiterfassung auch ein Gestaltungsspielraum bleiben, denn ein Arbeitgeber hat für die „geeignete Organisation“ und die „erforderlichen Mittel“ zur sorgen, konkreter wird das Gesetz nicht; ebenso wenig liegen explizite europäische Vorgaben vor. 

 

Fazit

Nicht nur die schriftliche Beschlussbegründung, auch ob der Gesetzgeber nochmal zum Thema Arbeitszeiterfassung tätig wird ist abzuwarten. Aus jetziger Sicht sollten jedenfalls alle bislang gängigen Arbeitszeiterfassungsarten von durch Arbeitnehmer auszufüllende Stundenzettel oder Exceltabellen bis hin zu digitalen Lösungen möglich sein. Wichtig dabei ist, dass eben die Arbeitszeit dokumentiert wird, wobei Arbeitszeit nach § 2 Abs. 1 Arbeitszeitgesetz bedeutet: Die Zeit von Beginn bis zum Ende der Arbeit ohne Ruhepausen. 


Rechtsanwältin Walburga van Hövell

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