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Medizinstudium/ Zahnmedizinstudium: Videoüberwachung während Klausuren?

Studierende haben aktuell mit vielen Widrigkeiten zu kämpfen. Die Pandemie bringt nicht nur den universitären Alltag in Schieflage, es fallen auch sämtliche Spaßfaktoren wie Einführungsveranstaltungen, (Freshmen-)Partys und sonstige soziale Aspekte des Studierendendaseins weg. Und jetzt sollen Studierende während der Klausuren auch noch videoüberwacht werden. „No way!“ dürfte der ein oder andere Studierende denken.

Rechtlich ist dies aber, wie jetzt sowohl das Oberverwaltungsgericht des Landes Nordrhein-Westfalen (OVG NRW) als auch das OVG des Landes Schleswig-Holstein (OVG Schleswig-Holstein) entschied, zulässig. In der Pandemiesituation dürfen Universitäten und Hochschulen videobeaufsichtigte häusliche Prüfungen anbieten und durchführen. 

In dem Verfahren vor dem OVG NRW (Beschl. v. 04.03.21 – 14 B 278/21.NE) wandte sich ein Studierender der Fernuni Hagen im Rahmen eines Eilverfahrens gegen die Corona-Prüfungsordnung der Fernuniversität. 

Die Corona-Prüfungsordnung der Fernuniversität sieht neben Präsenzprüfungen auch videobeaufsichtigte häusliche Klausurprüfungen vor. Hierbei sollen die jeweiligen Prüflinge durch eine Aufsichtsperson über eine Video- und Tonverbindung während der Prüfung beaufsichtigt werden. Sowohl die Video- und Tonverbindung als auch die Bildschirmansicht des Monitors werden vom Beginn bis zum Ende der Prüfung aufgezeichnet und vorübergehend gespeichert (Prüfungsaufzeichnung).  Nach dem Ende der Prüfung soll die Prüfungsaufzeichnung gelöscht werden, sofern die Aufsicht keine Unregelmäßigkeiten im Prüfungsprotokoll vermerkt oder Studierende eine Sichtung der Aufnahme durch den Prüfungsausschuss beantragt. In einem solchen Fall erfolgt die Löschung der Aufzeichnung erst nach Abschluss des Rechtsbehelfsverfahrens. Bis zur Löschung gilt die Aufzeichnung als Teil der Prüfungsakte.

Untersagung Aufzeichnung

Mit seinem Eilantrag begehrte der Antragsteller die vorläufige Untersagung der Aufzeichnung und Speicherung seiner Daten im Rahmen der bevorstehenden Onlineprüfung, nicht aber des Filmens an sich. Er machte geltend, das Vorgehen verstoße gegen die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) und sein Recht auf informationelle Selbstbestimmung.

Das sah das OVG NRW anders und lehnte den Antrag ab. Im Eilverfahren könne die Rechtmäßigkeit der Aufzeichnung und Speicherung nicht geklärt werden. Die DSGVO erlaube aber die Datenverarbeitung, wenn sie für die Wahrnehmung einer Aufgabe erforderlich sei, die im öffentlichen Interesse liege oder in Ausübung öffentlicher Gewalt erfolge, die dem Verantwortlichen übertragen worden sei. Als Hochschule sei die Fernuniversität zur Durchführung von Prüfungen verpflichtet. In Wahrnehmung dieser Aufgabe habe sie dem das Prüfungsrecht beherrschenden Grundsatz der Chancengleichheit Geltung zu verschaffen, der verlange, dass für vergleichbare Prüflinge so weit wie möglich vergleichbare Prüfungsbedingungen gälten. Bevorzugungen und Benachteiligungen einzelner Prüflinge sollen vermieden werden, um allen Teilnehmern gleiche Erfolgschancen zu bieten. Insbesondere sei zu verhindern, dass einzelne Prüflinge sich durch eine Täuschung über Prüfungsleistungen einen Chancenvorteil gegenüber den rechtstreuen Prüflingen verschafften. 

Die Aufzeichnung und vorübergehende Speicherung diene dazu, den Grundsatz der Chancengleichheit zu gewährleisten. Im Ergebnis würden die teilnehmenden Prüflinge von Täuschungsversuchen abgehalten und gleichzeitig die Möglichkeit eröffnet, dass Störungen des Prüfungsverlaufs auf Veranlassung des Aufsichtsführenden oder des Prüflings dauerhaft zum Zwecke der Beweissicherung aufgezeichnet würden. 

Kein Rechtsschutzbedürfnis

Auch in dem Verfahren vor dem OVG Schleswig-Holstein (Beschl. v. 04.03.21 – 3 MR 7/21) wandte sich ein Studierender gegen die vorgesehene Videoaufsicht seiner Prüfung. Ziel des klagenden Studierenden der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) war, dass die in der Corona-Ergänzungssatzung enthaltene Regelung zur Prüfungsaufsicht bei elektronischen Prüfungen gerichtlich vorläufig außer Vollzug gesetzt wird.

Die mit dem Verfahren befassten Richter des OVG hielten den Antrag des Studierenden bereits für unzulässig, weil dem Antragsteller das Rechtsschutzbedürfnis fehle, da er auch im Erfolgsfall seine Rechtsstellung nicht verbessern könne. Selbst für den Fall, dass die angegriffene Regelung der Corona-Ergänzungssatzung rechtswidrig sei, könne er lediglich erreichen, dass gar keine elektronischen Fernprüfungen zulässig wären. Denn die geregelte Prüfungsaufsicht bilde einen untrennbaren Regelungszusammenhang mit den übrigen Regelungen der Corona-Ergänzungssatzung. Es sei nicht davon auszugehen, dass die übrigen Vorschriften, insbesondere zu elektronischen Fernprüfungen, erlassen worden wären, ohne eine Möglichkeit zur entsprechenden Prüfungsaufsicht zu regeln. Aber selbst bei unterstellter Rechtswidrigkeit der angegriffenen Regelung und einer damit verbundenen Nichtigkeit der gesamten Satzung, stellte sich die Situation so dar, dass überhaupt keine Prüfung abgelegt werden könne, da – aktuell jedenfalls – die alternativ anzubietenden Präsenzprüfungen nach der Hochschulen-Coronaverordnung des Landes grundsätzlich noch zu verschieben seien. 

Der Antrag wäre aber auch im Übrigen unbegründet. Die Regelung verstoße nicht gegen höherrangiges Recht. 

Art.13 Abs.1 Grundgesetz (GG), Unverletzlichkeit der Wohnung, sei nicht betroffen, da allein der Prüfling darüber entscheide, ob er überhaupt an der Onlineprüfung teilnehme und ob den Mitarbeitern der CAU akustisch und visuell Einblick in einen ggf. als Wohnung geschützten Raum gegeben werde. Mit dieser Einwilligung sei ein Eindringen in die Wohnung aber per se ausgeschlossen.

Überwachung alternativlos

Auch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung stehe der Satzungsregelung nicht entgegen.  Der Einzelne müsse Einschränkungen seines Rechts auf informationelle Selbstbestimmung grundsätzlich im überwiegenden Allgemeininteresse hinnehmen. Die Beschränkung erfolge vorliegend aufgrund einer gesetzlichen Grundlage, konkret §45 Gesetz über die Hochschulen und das Universitätsklinikum Schleswig-Holstein (HSG) und der Corona-Ergänzungssatzung, aus der sich klar die Voraussetzungen und der Umfang der Datenerhebung und -verarbeitung ergäben. Dabei das stellte das OVG Schleswig-Holstein ebenso wie das OVG NRW darauf ab, dass die angegriffene Regelung dem Zweck der Sicherung der prüfungsrechtlichen Chancengleichheit diene. Eine audio-visuelle Übertragung (Videoaufsicht) sei zur Vermeidung von Täuschungsversuchen bei Prüfungen geeignet. Es sei nicht erforderlich, dass durch die Videoaufsicht sämtliche Täuschungsversuche verhindert werden sollen. Dies sei auch bei Präsenzklausuren, bei denen regelmäßig nicht jeder Prüfling durchgehend durch eine Aufsichtsperson im Verhältnis 1:1 überwacht werde nicht der Fall. 

Insgesamt gebe es gegenwärtig keine gleichermaßen geeigneten Alternativen. Mögliche technische Probleme, für die es keine tatsächlichen Anhaltspunkte gebe, führten nicht zu einer Ungeeignetheit der Videoaufsicht als solcher, insbesondere da sich die Nutzung von Videokonferenztechnik seit der Pandemielage im Bildungsbereich etabliert habe.  Außerdem regle die Satzung, dass eine Prüfung bei technischer Undurchführbarkeit vorzeitig beendet werde und der Prüfungsversuch als nicht unternommen gelte. 

Auch sei die mit der Prüfungsaufsicht verbundene Datenverarbeitung für die ordnungsgemäße Durchführung der Prüfung erforderlich, weil die Durchführung einer Präsenzprüfung mit entsprechender unmittelbarer Aufsicht derzeit bereits grundsätzlich aus nicht von der CAU zu beeinflussenden Gründen ausscheide, §2 Abs.2 HochschulencoronaVO. 

Schließlich sei die prüfungsbedingte Videoaufsicht auch nicht mit dem vorgetragenen "unbeobachtbaren Beobachtetwerden" (so etwa bei der Vorratsdatenspeicherung) zu vergleichen. Anders als bei der Vorratsdatenspeicherung liege eine Überwachung von Prüfungen in der Natur der Sache und sei den Betroffenen bekannt und die Teilnahme an der elektronischen Fernprüfung sei freiwillig und diese Freiwilligkeit auch ausreichend sichergestellt.


RAin Bita Foroghi LL.M. oec.
lennmed.de Rechtsanwälte
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