Arzt- und Zahnarztpraxen benötigen oftmals Dienstleistungen von Fremdfirmen, wie z.B. eine IT-Firma, die bei EDV-Problemen konsultiert wird, oder einen Abrechnungsspezialisten. Bei diesen Tätigkeiten wird bisweilen auch Einblick in hochsensible Patientendaten genommen, was keinesfalls unkompliziert[...]
Merkzeichen „H“ (Hilflosigkeit) für approbierte Ärztin
Ein nicht alltäglicher Fall: Eine approbierte Ärztin begehrt die Beibehaltung des Merkzeichens „H“ (Hilflosigkeit) in ihrem Schwerbehindertenausweis. Dieser Nachteilsausgleich berechtigt u. a. zu pauschalem Steuerfreibetrag von 7.400 € jährlich wegen außergewöhnlicher Belastung, Freifahrt im öffentlichen Nahverkehr ohne Eigenbeteiligung sowie Kfz-Steuerbefreiung. Ihrem Anliegen ist das Bundessozialgericht (BSG) mit Beschluss vom 18.09.2023 – (Az. B 9 SB 11/23 B) entgegengetreten.
Der Fall
Die 1984 geborene Klägerin leidet seit dem Kleinkindalter an einer schwerwiegenden Beeinträchtigung ihres Hörvermögens. Gemäß Teil A Nr. 5 d) ee) der Versorgungsmedizinischen Grundsätze (VMG) - Besonderheiten der Beurteilung der Hilflosigkeit bei Kindern und Jugendlichen - erkannte die Behörde bei ihr das Merkzeichen "H" an. Danach ist bei Taubheit und an Taubheit grenzender Schwerhörigkeit Hilflosigkeit ab Beginn der Frühförderung und dann - insbesondere wegen des in dieser Zeit erhöhten Kommunikationsbedarfs - in der Regel bis zur Beendigung der Ausbildung anzunehmen. Zur Ausbildung zählen der Schul-, Fachschul- und Hochschulbesuch, eine berufliche Erstausbildung und Weiterbildung sowie vergleichbare Maßnahmen der beruflichen Bildung.
Nachdem die Klägerin im Alter von 36 Jahren das Studium der Humanmedizin erfolgreich abgeschlossen hatte und ihr die Approbation als Ärztin erteilt worden war, entzog ihr die Behörde das Merkzeichen "H" wegen wesentlicher Änderung der Verhältnisse. Der Abschluss einer berufsqualifizierenden Ausbildung markiere das Ende der seit "Beginn der Frühförderung" bestehenden Hilflosigkeit. Die Klägerin könne als Ärztin arbeiten. Dem stehe nicht entgegen, dass sie mit der Weiterbildung zur Fachärztin in der Chirurgie eine weitere Qualifizierung anstrebe.
Die Entscheidung
Klage, Berufung und Nichtzulassungsbeschwerde sind erfolglos geblieben.
Das BSG vermochte keine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache zu erkennen. Hilflosigkeit im Sinne des Schwerbehindertenrechts könne bei hörgeschädigten Personen im Einzelfall auch nach Abschluss einer Erstausbildung vorliegen, wenn besondere Umstände (z.B. langzeitige berufliche Weiterbildung, Minderbegabung, geistige Behinderung oder zusätzliche Gesundheitsstörungen) einen zeitlich erheblichen weiteren Hilfebedarf begründeten. Solche besonderen Umstände habe das Berufungsgericht im Falle der Klägerin nach dem Abschluss ihres Medizinstudiums und der Erlangung der Approbation in Würdigung der Umstände des Einzelfalles bezogen auf die Aus- bzw. Weiterbildung zur Fachärztin jedoch gerade verneint. Bei der Klägerin bestünden auch nur geringgradige Störungen in der Sprachentwicklung; sie benötige zum Ausgleich ihrer Hörstörung hauptsächlich im beruflichen Bereich Unterstützung. Das könne eine Hilflosigkeit im gesetzlichen Sinne aber nicht begründen.
Die UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) als Auslegungshilfe des Gesetzesrechts gehe in ihrem Bedeutungsgehalt nicht über das im Grundgesetz enthaltene Verbot hinaus, nach dem niemand wegen seiner Behinderung benachteiligt werden darf. Im Übrigen sehe die UN-BRK wie das deutsche Schwerbehindertenrecht vor, die individuelle Beeinträchtigung des behinderten Menschen an der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu berücksichtigen.
Hinweise für die Praxis
Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes (Bescheides) mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, hat die Behörde den ursprünglichen Bescheid im Umfang der eingetretenen Änderung grundsätzlich mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Im Schwerbehindertenrecht geschieht dies häufig, wenn ein sog. "Verschlimmerungsantrag" gestellt wird, mit dem eine Erhöhung des Grades der Behinderung (GdB) oder die Zuerkennung weiterer Nachteilsausgleiche begehrt wird. Mitunter hat die Behörde aber auch nach bestimmten Zeitabläufen von Amts wegen zu prüfen, ob ggf. eine Besserung eingetreten ist. Ein typischer Fall ist die sog. "Heilungsbewährung" bei Krebs- oder Herzerkrankungen oder - wie hier - das Erreichen eines bestimmten Ausbildungsstandes. Dann ist ein ursprünglich pauschal hoch angesetzter GdB zu reduzieren oder sind Nachteilsausgleiche zu entziehen. Es kommt dann nur noch auf das Ausmaß der tatsächlichen Beeinträchtigung an. Die Behörde prüft dies in der Regel durch Auswertung von Befundberichten der behandelnden Ärztinnen und Ärzte. Die Leistungserbringer sind berufsrechtlich verpflichtet, solche Befundberichte zu erstatten. Unterlassen sie dies, können disziplinarische Maßnahmen die Folge sein.
RA Detlef Kerber
lennmed.de Rechtsanwälte
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