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Regressanspruch gegen Arzt für verfallene Impfstoffe?

Das Bundessozialgericht entschied in seinem Urteil vom 29.06.2022, (Az. B 6 KA 14/21 R) über einen Regressanspruch gegen einen Arzt für Impfstoffe, die er nicht mehr verwenden konnte. Sie waren durch falsche Kühlung unbrauchbar geworden und mussten vernichtet werden.

Hintergrund

Der Entscheidung lag eine Wirtschaftlichkeitsprüfung zu Grunde.

Bei der Klägerin, einer kinderärztlichen Berufsausübungsgemeinschaft (BAG), kam es zu einer mehrstündigen Unterschreitung der vorgesehenen Kühltemperatur in dem von ihr für die Aufbewahrung von Impfstoff verwendeten Kühlschrank, weil ein Relais im Regler des Kühlschrankverdichters klemmte. Nach Empfehlung des Apothekers sowie des Impfstoffherstellers wurden die betroffenen Impfstoffe vernichtet. In der Folgezeit beschaffte sie erneut Impfstoff, den sie zulasten der gesetzlichen Krankenkassen verordnete, größtenteils als Ersatz für den vernichteten Impfstoff.

Die Prüfungsstelle setzte gegen die Klägerin einen Regress in Höhe der Nettoverordnungskosten des ersatzweisen beschafften Impfstoffs (24.394,91 Euro) fest. Den dagegen gerichteten Widerspruch wies der beklagte Beschwerdeausschuss zurück.

Der Prozess

Die dagegen erhobene Klage blieb erfolglos.

Die Vernichtung des verordneten Impfstoffes anstelle der zweckentsprechenden Verwendung sei in der Gesamtschau als unwirtschaftliches Verordnungsverhalten zu werten. Dabei komme es nicht darauf an, ob die Ersatzverordnung zulässig gewesen sei. Denn dieser Impfstoff sei zur Schutzimpfung gesetzlich Versicherter verwendet worden. Die Unwirtschaftlichkeit bestehe darin, dass Impfstoffe vernichtet worden seien, die zum Zwecke der Schutzimpfung gesetzlich krankenversicherter Patienten bezogen und von den Krankenkassen bezahlt worden seien, ohne sie zweckentsprechend verbraucht zu haben. Grundsätzlich trage der Vertragsarzt das Risiko der Lagerung und der bestimmungsgemäßen Verwendung von Impfstoffen. Denn er habe im Gegensatz zu den Krankenkassen bestimmenden Einfluss nicht nur auf Lagerung und Verwendung, sondern auch auf Art, Menge und Zeitpunkt des Bezugs von Impfstoffen. Es sei daher nicht gerechtfertigt, den Krankenkassen ein dementsprechendes Risiko zuzuordnen. Eine abweichende Risikoverteilung komme nur in Betracht, soweit der Arzt durch normative Vorgaben eingeschränkt sei, die die Verwerfung von Impfstoff erforderlich machten. Solche Umstände seien hier indes nicht gegeben.

Bestätigung in der Sprungrevision

Auch die Sprungrevision der Klägerin blieb nun ohne Erfolg.

Zu Recht sei gegen sie ein Regress in Höhe von 24.394,91 Euro festgesetzt worden. Die ersatzweise Verordnung von Impfstoff erweise sich als unwirtschaftlich. Sie sei unzulässig gewesen. Bei Beurteilung der Zulässigkeit von Ersatzverordnungen seien auch die Umstände in den Blick zu nehmen, die zur Ersatzverordnung geführt haben. Dabei sei es wegen der gebotenen Typisierung, die der Wirtschaftlichkeitsprüfung in gewisser Weise immanent ist, für die Annahme einer unzulässigen Ersatzverordnung von Impfstoff ausreichend, dass der Schaden aufgrund einer Fehlfunktion eines Geräts in den Praxisräumen des Arztes eingetreten ist. Zwar können technische Fehler eines Medikamentenkühlschrankes nie vollständig ausgeschlossen werden. Das Risiko eines Schadenseintritts könne der Arzt als Betreiber seiner Praxis aber in weitem Umfang beeinflussen. Durch Auswahl, Wartung und Überwachung der Praxisausstattung könne die Gefahr von Sachschäden so gering wie möglich gehalten werden. Hinzu kommt, dass der Arzt in gewissem Rahmen Einfluss auf die Menge des gelagerten Impfstoffs hat. In welchem Umfang der Arzt Vorsorge trifft (auch durch den Abschluss von Versicherungen), unterliege seiner freien unternehmerischen Entscheidung und kann weder von den Prüfgremien noch von den Krankenkassen kontrolliert werden.


RA Michael Lennartz

lennmed.de Rechtsanwälte

Bonn | Berlin | Baden-Baden