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Strafbarkeitslücke bei Fälschung von Impfbescheinigungen?

Im Zusammenhang mit der Pandemie hatten sich die Gerichte u.a. auch mit gefälschten Corona-Impfbescheinigungen oder Impfunfähigkeitsbescheinigungen zu befassen. Es stellte sich angesichts divergierender gerichtlicher Entscheidungen die Frage, ob Fälschungen derartiger Bescheinigungen nach bereits bestehendem Recht strafrechtlich belangt werden können oder ob es neuer Regelung dazu bedürfe. Nach Ansicht mehrerer Gerichte war eine Bestrafung in solchen Fällen nämlich ausgeschlossen.

BGH beendet divergierende Rechtsprechung

Der Bundesgerichtshof (BGH) stellte in einer aktuellen Entscheidung bzgl. gefälschter Impfbescheinigungen nunmehr klar, dass der Tatbestand der Urkundenfälschung gemäß § 267 StGB erfüllt werde und keine Strafbarkeitslücke bestehe.

Worum ging es?

Im Ausgangsverfahren vor dem Landgericht Hamburg (LG Hamburg, Urt. v. 01.03.2022 – 634 KLs 8/21) war einem Mann vorgeworfen worden, in zumindest 19 Fällen gegen ein Entgelt angeblich erfolgte Erst- und Zweitimpfungen gegen das Sars-CoV-2-Virus nebst Impfstoffbezeichnung und Chargennummer in von ihm erstellte oder bereits ausgestellte Impfpässe eingetragen zu haben. Die gefälschten Bescheinigungen sollten Dritten zur Erstellung eines digitalen Impfzertifikats oder zum Nachweis über angebliche Schutzimpfungen und dergleichen vorgelegt werden. Das LG Hamburg verneinte eine Strafbarkeit wegen Fälschung von Gesundheitszeugnissen (§ 277 a.F. StGB) und Urkundenfälschung (§ 267 StGB). Eine Strafbarkeit wegen Fälschung von Gesundheitszeugnissen gemäß § 277 StGB in der zur Tatzeit geltenden Fassung sei nicht in Betracht gekommen, da die damalige Vorschrift eine Verwendung der Falsifikate bei einer Behörde oder einer Versicherung voraussetzte, was bei Gebrauch in der Gastronomie oder in Apotheken nicht gegeben sei. Einer Verurteilung wegen Urkundenfälschung gemäß § 267 StGB habe entgegengestanden, dass der seinerzeitige § 277 StGB eine abschließende Sonderregelung dargestellt habe, die einem Rückgriff auf das allgemeine Urkundenstrafrecht entgegengestanden habe. Gegen das Urteil des LG Hamburg legte die zuständige Staatsanwaltschaft Revision zum BGH ein.

Die Entscheidung

Der mit der Revision befasste Strafsenat des Bundesgerichtshofs hob den Freispruch auf und verwies die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurück. Entgegen der Auffassung des LG Hamburg handele es sich bei § 277 StGB a.F. nicht um eine spezielle Vorschrift, die den Täter von „Fälschung von Gesundheitszeugnissen“ im Verhältnis zu dem einer Urkundenfälschung privilegieren solle. Weder dem Zweck noch dem systematischen Zusammenhang der miteinander konkurrierenden Bestimmungen oder dem Willen des Gesetzgebers ließen sich Anhaltspunkte für eine solche Privilegierung entnehmen. Erst recht entfalte § 277 StGB a.F. keine "Sperrwirkung" gegenüber der Urkundenfälschung, wenn der Tatbestand der Fälschung von Gesundheitszeugnissen nicht (vollständig) erfüllt sei. Gemäß der seinerzeitigen Fassung war dies nämlich nur anzunehmen, wenn die falsche Bescheinigung bei einer Behörde oder einer Versicherung vorgelegt werden sollte.

LG Nürnberg-Fürth

Auf der Linie des BGH befand sich bereits bspw. das Landgericht Nürnberg-Fürth (LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 28.07.2022 – 12 Qs 34/22).

Worum ging es?

In diesem Verfahren hatte ein Kinderarzt in großem Umfang Impfunfähigkeitsbescheinigungen für Kinder aus dem ganzen Bundesgebiet zur Vorlage bei Behörden ausgestellt, ohne dass dem jeweils eine Untersuchung der Kinder oder eine Überprüfung der Angaben der Kindseltern vorausgegangen war. Bei einer Durchsuchung der Praxisräume des Kinderarztes wurden über tausend schriftliche Elternanfragen, in denen Impfunfähigkeitsbescheinigungen bei ihm angefordert wurden. Die weiteren Ermittlungen der Staatsanwaltschaft erbrachten, dass in mindestens 20 bis dahin nachgewiesenen Einzelfällen der Kinderarzt formularmäßige Impfunfähigkeitsbescheinigungen für Kinder tatsächlich ausgestellt und an deren Eltern übersandt hatte.

Im Zuge der Durchsuchung der Praxisräume leitete die Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren gegen eine Mutter wegen des Verdachts der Anstiftung zum Ausstellen unrichtiger Gesundheitszeugnisse ein. Sie hatte den Kinderarzt um solche Bescheinigungen für ihre vier Kinder gebeten. Im Rahmen des Ermittlungsverfahrens wurde in der Wohnung der Beschuldigten nach den mutmaßlich vom Kinderarzt ausgestellten Impfunfähigkeitsbescheinigungen gesucht. Nach vollzogener Durchsuchung legte die Beschuldigte Beschwerde gegen den Durchsuchungsbeschluss ein, da es habe von vornherein an einem Anfangsverdacht gefehlt habe. Erfolglos.

Durchsuchung rechtmäßig

Nach Auffassung des LG war die Durchsuchung rechtmäßig, weil ein sie rechtfertigender, hinreichend gewichtiger Anfangsverdacht bei Beschlusserlass vorlag. Mit Blick auf die Schreiben der Beschuldigten, in denen sie recht ausführlich die Krankengeschichte der vier Kinder beschrieben habe, habe nach kriminalistischer Erfahrung nahegelegen, dass sie nach dem vorstehend geschilderten Modell Impfunfähigkeitsbescheinigungen beim Kinderarzt beauftragt und diese auch von ihm erhalten habe, ohne dass die Kinder in der knapp 200 km vom Wohnort der Beschuldigten entfernten Arztpraxis vorgestellt worden wären. Entsprechend habe die Beschuldigte den Kinderarzt mutmaßlich zu Straftaten nach §278 StGB angestiftet und so mutmaßlich die eigene Strafbarkeit begründet.

Unrichtiges Gesundheitszeugnis

Eine ärztlich ausgestellte Impfunfähigkeitsbescheinigung stelle nämlich ein Gesundheitszeugnis i.S.d. §278 StGB dar. Ein unrichtiges Gesundheitszeugnis im Sinne der Vorschrift liege auch dann vor, wenn der Arzt den Patienten - wie hier der Verdacht bestehe - zuvor nicht ordnungsgemäß untersucht habe. Ein Zeugnis, das ein Arzt ohne Untersuchung ausstelle, sei ebenso wertlos, wie dasjenige, das nach erfolgter Untersuchung den hierbei festgestellten Gesundheitszustand unrichtig darstelle. Zwar könne ausnahmsweise eine körperliche Untersuchung oder persönliche Befragung in Einzelfällen entbehrlich sein, wenn sich der Arzt auf andere Weise zuverlässig über den Zustand des Patienten unterrichtet habe. Vorliegend könne aber angesichts der Art der massenhaften und formularmäßigen Abwicklung der Elternanfragen die zuverlässige Unterrichtung über die Grundlagen einer etwaigen Impfunverträglichkeit des einzelnen Kindes aber nicht ernsthaft angenommen werden. Insbesondere da einzig die von den Eltern als relevant assoziierten und ausreichend vermuteten schriftlichen Mitteilungen die Grundlage für die Ausstellung der Bescheinigungen bildeten.

Fazit

Nach der Entscheidung des BGH ist die Kuh vom Eis. Der Tatbestand der Urkundenfälschung ist nicht durch eine Sonderregelung gesperrt und kommt in derartigen Fällen entsprechend zur Anwendung. In der Zwischenzeit hat aber auch der Gesetzgeber reagiert und die entsprechenden strafrechtlichen Regelungen (§§ 277 StGB ff.) erweitert. Seit dem 24. November 2021 ist der Gebrauch eines unrichtigen Gesundheitszeugnisses – darum handelt es sich bei Impfausweisen und Impfunfähigkeitsbescheinigungen – nicht darauf beschränkt, dass er bei „einer Behörde oder einer Versicherungsgesellschaft“ erfolgen muss. Maßgeblich ist seitdem der Gebrauch „im Rechtsverkehr“.


Bita Foroghi, LL.M. oec.

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