Arzt- und Zahnarztpraxen benötigen oftmals Dienstleistungen von Fremdfirmen, wie z.B. eine IT-Firma, die bei EDV-Problemen konsultiert wird, oder einen Abrechnungsspezialisten. Bei diesen Tätigkeiten wird bisweilen auch Einblick in hochsensible Patientendaten genommen, was keinesfalls unkompliziert[...]

Tod nach Zahnbehandlung – Bewährungsstrafe für Anästhesist
Nach dem Tod eines Patienten, der sich für seine Behandlung in einer Zahnarztpraxis eine Vollnarkose gewünscht hatte, wurde der hinzugezogene Anästhesist vom Landgericht Hamburg zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten auf Bewährung verurteilt. Das Landgericht Hamburg befasste sich in seinem Urteil vom 12.07.2024 (602 Ks 2/23) auch mit der Frage, inwieweit sich die ebenfalls angeklagte behandelnde Zahnärztin strafrechtlich verantworten musste.
In dem konkreten Fall litt ein 18jähriger Patient unter Zahnschmerzen. Seine Zähne waren stark kariös geschädigt und teilweise entzündet. Er war bereits längere Zeit nicht mehr bei einem Zahnarzt gewesen, weil er große Angst vor einer Zahnbehandlung hatte. Die Mutter des Patienten machte schließlich den Vorschlag, die Zahnbehandlung unter Vollnarkose durchführen zu lassen.
Mit Hilfe der Krankenkasse wurde der Patient und dessen Mutter auf die Zahnarztpraxis der angeklagten Zahnärztin aufmerksam. Vor Ort wurde mit der Zahnärztin detailliert das weitere Vorgehen besprochen. Der Patient machte deutlich, dass er nur eine Behandlung unter Vollnarkose wünschte. Die Alternativen (Behandlung unter Lachgas, Hypnose) wurden durch den Patienten strikt abgelehnt.
Weitere Beratungstermine mit der Zahnärztin wurden nur noch durch die Mutter wahrgenommen, hierbei wurde diese auch darüber aufgeklärt, dass die zahnärztliche Behandlungsdauer vorläufig auf sechs Stunden eingeschätzt wurde, die gesamte Behandlungsdauer einschließlich Ein- und Ausleitung der Narkose sowie einer Aufwachphase auf etwa acht Stunden.
In der Folgezeit telefonierte die Mutter mit dem Anästhesisten. In dem Telefonat erklärte der Anästhesist der Mutter des Patienten, wie die Narkose technisch ablaufen würde, und vermittelte die allgemeinen Risiken eine Narkose. Weder in diesem Telefonat noch in der Folgezeit informierte der Anästhesist die Mutter des Patienten bzw. den Patienten selbst darüber, dass die von ihm bei der Narkose vorgesehene und verwendete apparative Ausstattung nicht den damals geforderten apparativen Mindestanforderungen an den anästhesiologischen Arbeitsplatz entsprachen. Er informierte auch nicht darüber, dass kein begleitendes und behilfliches geschultes Personal eingesetzt werden würde, obwohl dies nach den damals geltenden Richtlinien erforderlich gewesen wäre.
Am Tag des Eingriffs fragte der angeklagte Anästhesist den Patienten nach Vorerkrankungen, was dieser verneinte. Zu früher bereits durchgeführten Narkosen teilte die Mutter mit, dass keine Beschwerden aufgetreten seien. Es wurde dem Patienten einen standardisierten und vorformulierten Aufklärungsbogen zur Unterschrift gereicht, der u.a. ausdrücklich auf lebensbedrohliche Komplikationen bei Narkosen hinwies. Der Anästhesist sprach die Risiken selbst nicht noch einmal an. Den Aufklärungsbogen überreichte die Mutter ihrem Sohn, der diesen sodann unterschrieb. Die allgemeinen Narkoserisiken waren der Mutter und dem Patienten aus vorherigen Eingriffen unter Vollnarkose bekannt.
Am Tag des Eingriffs verlief die Narkose zunächst komplikationslos. Zu einem späteren Zeitpunkt fiel jedoch die Sauerstoffsättigung und Pulsfrequenz des Patienten plötzlich ab. Die anschließenden Versuche den Patienten zu stabilisieren und Reanimationsmaßnahmen waren nicht erfolgreich.
Die Entscheidung
Das Landgericht Hamburg führte in seiner Entscheidung aus, dass sich, mangels einer wirksamen Einwilligung des Patienten in den Eingriff, der angeklagte Anästhesist einer gefährlichen Körperverletzung strafbar gemacht habe.
Die Wirksamkeit der Einwilligung in eine mit einem körperlichen Eingriff verbundene ärztliche Behandlungsmaßnahme setzt eine Aufklärung des Patienten über den Verlauf des Eingriffs, seine Erfolgsaussichten, Risiken und mögliche Behandlungsalternativen mit wesentlich anderen Belastungen voraus.
Die Einwilligung des Patienten ist jedenfalls unwirksam, weil über den aufklärungsbedürftigen Umstand, dass bei der personellen und apparativen Ausstattung während des Eingriffs vom üblichen medizinischen Standard abgewichen werden soll und dadurch ein vermeidbares Risiko – bis hin zum Tod des Patienten – entsteht, nicht aufgeklärt wurde. Der angeklagte Anästhesist hatte weder über den Verzicht des Einsatzes von Kapnometer, EKG-Messgerät sowie eines mechanischen Beatmungsgerätes noch über die nicht gewährleistete Assistenz durch qualifiziertes Personal aufgeklärt, dies wäre jedoch für eine ordnungsgemäße Aufklärung erforderlich gewesen.
Nach Auffassung des Landgerichts Hamburg sind im vorliegenden Fall die gleichen strengen Anforderungen an die Aufklärung zu stellen, wie im Falle des Einsatzes einer sog. Außenseitermethode, also einer Behandlungsmaßnahme, die nicht oder noch nicht dem medizinischen Standard entspricht. Die Aufklärungspflicht eines Arztes, der eine solche Methode anwenden möchte, erstreckt sich anerkanntermaßen auf deren Standardwidrigkeit; hierdurch soll der Patient in die Lage versetzt werden, eine informierte Entscheidung darüber zu treffen, ob er sich auf das mit dem nicht standardgemäßen Vorgehen verbundene besondere Risiko einlassen möchte. Dieser Gedanke ist nicht nur bei Behandlungsmaßnahmen im engeren Sinne, sondern auch hinsichtlich der medizinischen Überwachung einschlägig.
Die mitangeklagte Zahnärztin wurde hingegen freigesprochen, da ihr nicht nachgewiesen werden konnte, dass sie die Standardwidrigkeit der personellen wie apparativen Ausstattung des Anästhesisten erkannt habe. Nach Ansicht des Landgerichts Hamburg sei es zwar für einen Zahnarzt offenkundig, dass im Rahmen der Vollnarkose die Vitalfunktionen des Patienten überwacht werden müssen, aber die Kenntnis der konkreten essenziellen apparativen Ausstattung eines Anästhesisten bei ambulanter Vollnarkose gerade nicht zu erwarten sei.
RA Philipp Ungeheuer, LL.M. Medizinrecht
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