Arzt- und Zahnarztpraxen benötigen oftmals Dienstleistungen von Fremdfirmen, wie z.B. eine IT-Firma, die bei EDV-Problemen konsultiert wird, oder einen Abrechnungsspezialisten. Bei diesen Tätigkeiten wird bisweilen auch Einblick in hochsensible Patientendaten genommen, was keinesfalls unkompliziert[...]

Wiedererlangung der Würdigkeit eines Zahnarztes nach 18 Jahren
Bedeutet eine wegen Abrechnungsbetruges widerrufene Approbation ein lebenslanges Berufsverbot? Der VGH München erkennt mit Urteil vom 03.07.2024 - Az: 21 B 24.513- einen inneren Reifeprozess an und gestattet unter bestimmten Voraussetzungen die Wiedererlangung der für eine Approbation erforderlichen Würdigkeit.
Der Sachverhalt
Der Kläger ist MKG-Chirurg und hatte Ende 2001 eine Zahnarztpraxis übernommen. Die Zahl der Patienten ging seit 2002 erheblich zurück, so dass er zum Jahresende 2006 Regelinsolvenz anmeldete. In den Jahren 2004 bis 2006 schädigte er zwei Patienten bzw. deren Krankenkassen, indem er diesen gegenüber vorsätzlich falsche und überhöhte privatärztliche Honorarrechnungen stellte, ferner Leistungen abrechnete, die er nicht erbracht und nicht dokumentiert hatte, und zudem Leistungen mehrfach bzw. über andere Abrechnungsposten zusätzlich abrechnete, obwohl diese bereits anderweitig vergütet waren.
Das Amtsgericht München verurteilte den Kläger mit Urteil vom 15. Oktober 2010 wegen 15 tatmehrheitlichen Fällen des Betruges in Tatmehrheit mit 6 tatmehrheitlichen Fällen des versuchten Betruges zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Im Berufungsverfahren hob das Landgericht München I mit rechtskräftigem Urteil vom 25. März 2015 das Urteil des Amtsgerichts auf und verurteilte den Kläger wegen dieser Taten zu einer Gesamtgeldstrafe von 360 Tagessätzen zu je 50 EUR.
Mit Bescheid vom 19. Januar 2016 widerrief die Regierung von Oberbayern die Approbation des Klägers als Zahnarzt sowie als Arzt. Eine hiergegen gerichtete Klage wies das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 18. September 2018 ab. Das Verhalten des Klägers erfülle den Tatbestand der Unwürdigkeit. Dabei könne der im Strafurteil festgestellte Sachverhalt zugrunde gelegt werden.
Auf die Berufung des Klägers hob der VGH München mit Urteil vom 3. Juli 2024 den Bescheid der Regierung von Oberbayern vom 19. Januar 2016 auf. Die lange Dauer des Berufungsverfahrens erklärt sich durch dessen Ruhendstellung bis zum 19. Februar 2024 im Hinblick auf einen - letztlich erfolglosen - Wiederaufnahmeantrag des Klägers.
Die Entscheidungsgründe des VGH München
Der Kläger hätte sich zwar unter Zugrundelegung seiner strafrechtlichen Verurteilung wegen (Abrechnungs-) Betruges mit einer Schadenshöhe von 19.050,- EUR zu einer Gesamtgeldstrafe von 360 Tagessätzen im Zusammenhang mit seiner Berufsausübung als Arzt bzw. Zahnarzt eines Verhaltens schuldig gemacht, das so schwerwiegend gewesen sei, dass sich daraus seine Unwürdigkeit zur weiteren Ausübung des ärztlichen Berufes ergeben habe. Zum maßgeblichen Zeitpunkt der Behördenentscheidung am 19. Januar 2016 hätte er nach einer Gesamtwürdigung aller Umstände jedoch seine Würdigkeit wiedererlangt, sodass der Widerruf der Approbationen rechtswidrig gewesen sei und ihn in seinem Grundrecht auf freie Berufswahl aus Art. 12 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) verletzt habe.
Die einen Widerruf der Approbation grundsätzlich rechtfertigende Sachlage habe sich in dem fast zehn Jahre andauernden Zeitraum seit letzter Tathandlung (März 2006) bis zum Bescheiderlass am 19. Januar 2016 nachweislich „zum Guten geändert“. Der VGH gehe davon aus, dass der Kläger in diesem fast zehn Jahre andauernden Zeitraum einen inneren Reifeprozess zur Kompensation der zu Tage getretenen charakterlichen Mängel durchlaufen habe. Er habe sich intensiv mit seinen abgeurteilten Taten auseinandergesetzt, durchaus eine Unrechtseinsicht im Hinblick auf Abrechnungsbetrugshandlungen und deren berufsrechtliche Konsequenzen erlangt und darüber hinaus ein verfehlungs- und beanstandungsfreies Verhalten an den Tag gelegt, um das verlorengegangene Vertrauen der Öffentlichkeit in die ärztliche Integrität wiederherzustellen.
Ausgangspunkt der Gesamtabwägung sei das strafrechtlich geahndete Fehlverhalten des Klägers. Zu seinen Gunsten sei u.a. berücksichtigt worden, dass die Taten bereits außerordentlich lange zurücklägen. Die erste Rechnung stamme vom 11. Mai 2005, die letzte vom 1. März 2006. Der Kläger habe keine neuen Delikte begangen. Er könne seit etwa 10 Jahren faktisch seinen Beruf in Deutschland nicht ausüben. Er sei wirtschaftlich angeschlagen und habe sich an den von ihm betrügerisch erlangten Geldbeträgen nicht in höchst eigennütziger und verwerflicher Weise bereichert, sondern hiervon Schulden getilgt. Das Verfahren dauere schon lange und habe den Kläger übermäßig belastet.
Neben der ungewöhnlich langen Dauer des Strafverfahrens messe der VGH weiteren Umständen des Einzelfalles besondere Bedeutung zu, die den inneren Reifeprozess des Klägers gefördert hätten. Wegen seiner Insolvenz sei für ihn eine Niederlassung in eigener Privatpraxis nicht mehr möglich gewesen. Er hätte kein Vermögen besessen und Schulden gehabt. Nach seiner Aussage habe er sich erfolglos um Anstellung bemüht. Die Angebote aus dem Ausland habe er nicht annehmen können, da er wegen der schwebenden Ermittlungen keine Unbedenklichkeitsbescheinigung („Certificate of Good Standing“) von der Regierung von Oberbayern erhalten habe. Er habe daher gelegentlich als Gastarzt bei Kollegen hospitiert. Insbesondere seit Erlass des Amtsgerichtsurteils hätten seine Kollegen ihn kaum noch beschäftigen wollen.
Dem Kläger könne nicht entgegengehalten werden, dass einem Wohlverhalten, das unter dem Druck eines schwebenden behördlichen Verfahrens an den Tag gelegt werde, regelmäßig kein besonderer Wert beigemessen werden könne. Der Kläger habe, obwohl der Widerruf seiner Approbationen nicht bestandkräftig geworden sei, seinen Beruf faktisch nicht oder nur in geringem Umfang ausüben können. Sein Reifeprozess habe sich hauptsächlich außerhalb des ärztlichen Berufes vollzogen.
Das mit dem Widerruf der Approbation einhergehende Berufsausübungsverbot greife regelmäßig tief in das Recht der freien Berufswahl und zugleich in die private und familiäre Existenz ein; es könne Lebenspläne des Betroffenen zunichtemachen, da dieser von dem Beruf ausgeschlossen werde, für den er sich ausgebildet und den er für sich und seine Angehörigen zur Grundlage der Lebensführung gemacht habe. In diesen Zusammenhängen dürfe die Fähigkeit des Menschen zur Änderung und zur Resozialisierung nicht außer Acht gelassen werden. Der Widerruf der Approbation dürfe dementsprechend auch nicht faktisch zu einem lebenslangen Berufsverbot führen.
Hinweise für die Praxis
Das mit 74 Gliederungspunkten sehr umfangreich begründete Urteil betont zwar mehrfach, dass es sich um eine Einzelfallentscheidung aufgrund besonderer Umstände handele. Gleichwohl ist die abschließende Aussage, der Widerruf der Approbation könne nicht ad infinitum gelten, verallgemeinerungsfähig. So hat etwa auch das Oberverwaltungsgericht (OVG) des Landes Sachsen-Anhalt mit Beschluss vom 19. Februar 2024 - Az.: 1 M 5/24 – im Falle einer Allgemeinzahnärztin entschieden, dass bis zum bestandskräftigen Abschluss eines Verfahrens über die Wiedererteilung der Approbation eine Erlaubnis zur Ausübung des zahnärztlichen Berufes nach § 7a ZHG zu erteilen sei, sofern eine positive Prognose zur Zuverlässigkeit und Würdigkeit gestellt werden könne. Eine Würdigkeit zur Ausübung des (zahn)ärztlichen Berufes könne allein durch den Ablauf eines hinreichend langen Zeitraumes, in dem sich der Betreffende verfehlungs- und beanstandungsfrei verhalte, d. h. ohne Zutreten weiterer für den Abschluss des notwendigen inneren Reifeprozesses sprechender Umstände, wiedererlangt werden.
RA Detlef Kerber
lennmed.de Rechtsanwälte
Bonn | Berlin | Baden-Baden