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Zwei Plausibilitätsprüfungen im selben Quartal?

Plausibilitätsprüfungen erstrecken sich sowohl auf Überschreitungen von Zeitprofilen als auch auf die Anzahl gemeinsam in einer Praxisgemeinschaft behandelter Patienten. Hat eine Kassenärztliche Vereinigung (KV) aufgrund einer zeitbezogenen Plausibilitätsprüfung einen Honorarrückforderungsbescheid erteilt, verbraucht sie ihr Prüfungsrecht für eine weitere - patientenbezogene - Plausibilitätsprüfung desselben Quartals, wenn sie in den Bescheid weder einen neuen Vorläufigkeitsvorbehalt aufnimmt noch anderweitig darauf hinweist, dass weitere Plausibilitätsprüfungen erfolgen werden.

Der Sachverhalt

Der Kläger ist niedergelassener hausärztlich tätiger Internist in eigener Praxis in Hessen. 

Für die Quartale I/2006 bis I/2007 stellte die beklagte KV Anfang 2008 bei einer Plausibilitätsprüfung eine Überschreitung der Zeitprofile fest. Solche Prüfungen erfolgen, wenn die ermittelte arbeitstägliche Zeit bei Tageszeitprofilen an mindestens drei Tagen im Quartal mehr als zwölf Stunden oder im Quartalszeitprofil mehr als 780 Stunden beträgt. Die KV hob die ursprünglichen Honorarbescheide für diese Quartale auf und forderte mit Bescheid vom 04.11.2008 Honorare in Höhe von insgesamt ca. 5.400 € zurück, ohne sich dabei weitere Plausibilitätsprüfungen vorzubehalten.

Im Oktober 2010 informierte die KV den Kläger darüber, dass für die Quartale IV/2005 bis IV/2007 eine Plausibilitätsprüfung im Hinblick auf den Anteil identischer Patienten mit der Berufsausübungsgemeinschaft (BAG) der Dres. B./C./D., mit welcher der Kläger eine Praxisgemeinschaft bildete, durchgeführt würde. Mit Bescheid vom 05.01.2011 hob die KV die Honorarbescheide für die Quartale I/2006 bis IV/2007 auf und forderte unter Verrechnung mit der Honorarrückforderung aufgrund der zeitbezogenen Plausibilitätsprüfung einen weiteren Korrekturbetrag von ca. 45.500 € zurück. Im Ergebnis lasse sich bei Patientenidentitäten zwischen 39,28 % und 57,25 % ein Gestaltungsmissbrauch mit dem Ziel der Fallzahlmehrung vermuten.

Die Entscheidung

Mit Gerichtsbescheid vom 01.08.2022 (Az.: S 18 KA 52/16) hob das Sozialgericht Marburg die sich aus der patientenbezogenen Plausibilitätsprüfung ergebene Honorarrückforderung für die Quartale I/2006 bis I/2007 auf und wies im Übrigen die Klage ab.

Dabei stellte das Gericht fest, dass die gesetzlichen Bestimmungen über die sog. sachlich-rechnerischen Richtigstellungen auch die zeitbezogene und die patientenbezogene Plausibilitätsprüfung einschlössen. Beide Prüfungen seien Teil eines einheitlichen, auf dasselbe Ziel gerichteten Verfahrens.

Die KV habe hier ihr Prüfungsrecht für eine weitere Plausibilitätsprüfung verbraucht. Wenn die KV in dem zunächst ergangenen Honorarrückforderungsbescheid aufgrund der zeitbezogenen Plausibilitätsprüfung weder einen neuen Vorläufigkeitsvorbehalt aufnehme noch darauf hinweise, dass weitere Plausibilitätsprüfungen erfolgen würden, so verliere sie ihr Recht auf eine weitere Plausibilitätsprüfung. Einer weiteren Prüfung stehe dann der Grundsatz des Vertrauensschutzes entgegen, weil der Arzt grundsätzlich darauf vertrauen dürfe, dass das Verfahren der Plausibilitätsprüfung für die geprüften Quartale insgesamt abgeschlossen sei und keine weiteren Honorarrückforderungen aufgrund von Plausibilitätsprüfungen ergehen würden. Eine Differenzierung nach den einzelnen Unterarten der Plausibilitätsprüfung (zeitbezogen, patientenbezogen) sei für den Vertragsarzt nicht ohne weiteres erkennbar, sondern müsse von der KV kenntlich gemacht werden. Hierzu sei notwendig, dass die KV in ihrer Prüfung oder spätestens im Bescheid über die Neufestsetzung und Honorarrückforderung darauf hinweise, dass eine weitere Prüfung der Abrechnung auf ihre (patientenbezogene) Plausibilität erfolgen werde bzw. dass eine solche Überprüfung bislang nicht abschließend erfolgt sei und die Neufestsetzung insoweit weiterhin unter Vorbehalt erfolge.

Für die übrigen Quartale II/2007 bis IV/2007 hielt das Gericht inhaltlich die patientenbezogene Plausibilitätsprüfung für rechtmäßig. Dabei sah es prozessual von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab und folgte im Einzelnen dem angefochtenen Ausgangs- und Widerspruchsbescheid. Die KV habe erhebliche Patientenidentitäten festgestellt sowie Auffälligkeiten beim Einlesen der Versichertenkarte. Der klagende Arzt sei den begründeten Zweifeln an der Richtigkeit der Abrechnung nicht entgegengetreten.

Hinweise für die Praxis

Wegen der Besonderheiten des vertragsärztlichen Vergütungssystems sieht das Gesetz vor, bereits erteilte Honorarbescheide noch nachträglich zu korrigieren. Davon wird durchaus rege Gebrauch gemacht, denn im Falle unzureichender Richtigstellungen und Plausibilitätsprüfungen trifft die Vorstände von Kassenärztlichen Vereinigungen und Krankenkassen eine Haftung. Um jedoch die berechtigten Interessen der Vertragsärzte an der Kalkulierbarkeit ihrer Einnahmen zu schützen, sind verschiedene Vertrauensschutztatbestände anerkannt. Danach ist die Korrektur eines Honorarbescheides nicht (mehr) möglich, wenn

a) eine Frist von zwei Jahren seit Bekanntgabe des Honorarbescheides abgelaufen ist,

b) die KV ihre Befugnis zur Richtigstellung schon „verbraucht“ hat, indem sie die Honoraranforderung des Vertragsarztes in einem der ursprünglichen Honorarverteilung nachfolgenden Verfahren bereits auf ihre Richtigkeit überprüft und - wie hier - vorbehaltlos bestätigt hat,

c) die KV es unterlassen hat, bei der Erteilung des Honorarbescheides auf ihr bekannte Ungewissheiten hinsichtlich der Grundlagen der Honorarverteilung oder ihrer Auslegung oder auf ein noch nicht abschließend feststehendes Gesamtvergütungsvolumen hinzuweisen und durch einen Vorläufigkeitshinweis zu manifestieren,

d) lediglich sog. „alltägliche Fehler“ vorliegen, die mit den Besonderheiten des Vertragsarztrechts nichts zu tun haben, etwa eine fehlerhafte Abrechnung im Einzelfall infolge eines Rechenfehlers oder der versehentlichen Verwendung eines falschen Berechnungsfaktors. In diesen Fällen ist eine Korrektur regelmäßig nur dann statthaft, wenn der Vertragsarzt die Rechtswidrigkeit des Honorarbescheides kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte.

Noch nicht abschließend vom Bundessozialgericht entschieden, tendenziell von ihm aber kritisch bewertet wird der Gesichtspunkt, ob sich ein Vertrauensschutz allein daraus ergeben kann, dass die KV die Erbringung bestimmter Leistungen in Kenntnis aller Umstände längere Zeit geduldet hat, indem sie etwa systematisch fachfremde Leistungen vergütet hat, diese Leistungen später jedoch von einer Vergütung ausschließt.

Die Entscheidung des SG Marburg ist rechtskräftig.


RA Detlef Kerber

lennmed.de Rechtsanwälte

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