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Anfertigung von Fotos im Intimbereich nicht immer persönlichkeitsverletzend

Zu Abrechnungszwecken kann die medizinische Notwendigkeit ambulanter Zirkumzisionen (Beschneidungen) zur Behebung von Phimosen (Vorhautverengung) mittels Fotodokumentation des OP-Gebietes zu belegen sein, entschied das Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg mit Urteil vom 22.02.2023 (Az. L 7 KA 12/18).

Der Fall

Der klagende Facharzt für Urologie hatte im Rahmen vertragsärztlicher Behandlung bei seinen Patienten ambulante Zirkumzisionen erbracht. Die Kassenärztliche Vereinigung (KV) berichtigte insoweit sein Honorar, indem sie die GOP 31102 EBM (dermatochirurgischer Eingriff der Kategorie A2) und damit im Zusammenhang die GOP 31503 EBM (postoperative Überwachung im Anschluss) und die GOP 31609 EBM (postoperative Behandlung im Anschluss) strich: Die Abrechnung dermatochirurgischer Eingriffe setze nach Nr. 1 der Präambel zum Kapitel 31.2.2 EBM eine histologische Untersuchung und/oder eine Fotodokumentation voraus. Beides sei vom Kläger nicht vorgelegt worden.

Das Urteil

Klage und Berufung gegen die Honorarberichtigung blieben erfolglos. Das LSG Berlin-Brandenburg erachtet die Regelungen des EBM für rechtmäßig.

Die Vorgaben des Bewertungsausschusses in Kapitel 31.2.2 EBM und GOP 31102 seien im Rahmen der gesetzlichen Grenzen ergangen und in Anbetracht des Zwecks der Ermächtigung weder unvertretbar noch unverhältnismäßig, missbräuchlich oder willkürlich. Legitimer Zweck der Vorschrift zu Nr. 1 in Kapitel 31.2.2 sei es, für sämtliche dermatochirurgischen Eingriffe die Abrechnung solcher Leistungen zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung zu verhindern, die nicht medizinisch notwendig seien. Für operative Veränderungen der Vorhaut komme nicht nur eine Abgrenzung zu rituell und religiös motivierten Eingriffen in Betracht, sondern auch zu (bloß) ästhetischen Eingriffen. Im Zuge eines praktisch verstärkten Verlangens nach ästhetischer Veränderung im Genitalbereich, welches auch mit den Mitteln der plastischen Chirurgie bedient werde (Stichwort: „Intimästhetik/Intimchirurgie für den Mann“, „Intimkorrektur“), erscheine es nicht unvertretbar, die medizinische Notwendigkeit mittels Fotodokumentation des OP-Gebietes zu belegen.

Der Vertragsarzt habe im Übrigen die Möglichkeit, entsprechend der medizinischen Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit zwischen der Histologie und der Bilddokumentation zu wählen. Bei sekundären Phimosen empfehle z. B. die S 2-Leitlinie „Phimose und Paraphimose bei Kindern und Jugendlichen“ eine histologische Untersuchung des OP-Präparates aufgrund des Risikos für eine postoperative Progredienz und der höheren Wahrscheinlichkeit der Entstehung einer postoperativen Meatusstenose (Verengung der Mündung der Harnröhre). Soweit der Kläger keine vollständige Zirkumzision, sondern nur eine Vorhautplastik durchgeführt habe und mangels Entfernung der Vorhaut kein Gewebematerial für eine histologische Untersuchung zur Verfügung stehe, sei die Fotodokumentation ein geeignetes Mittel, um die Abrechnung medizinisch nicht notwendiger Eingriffe zu verhindern. Die pathologische, behandlungsbedürftige Phimose könne mit ggf. mehreren Bildaufnahmen dokumentiert werden. Mit einer klaren örtlichen Begrenzung auf das OP-Gebiet könne dem Selbstbestimmungsrecht der Patienten ausreichend Rechnung getragen werden.

Der Kontext

Bereits mit Urteil vom 21.10.2020 - L 11 KA 24/18 - hatte das LSG NRW sachlich-rechnerische Honorarberichtigungen der GOP 31102, 31503 und 31609 EBM bei Zirkumzisionen bestätigt. Die von der dortigen Klägerin (urologische BAG) eingereichten Unterlagen hatten ausgewiesen, dass sämtliche Patienten türkische oder arabische Namen getragen und sich in einem Alter von zwei bis neun Jahren befunden hatten. Dies ergibt sich aus dem Beschluss des SG Düsseldorf vom 11.01.2016 - S 2 KA 380/15 ER -, den das LSG Berlin-Brandenburg zitiert. Das deutete stark darauf hin, dass es sich bei den vorgenommenen Zirkumzisionen um Beschneidungen aus religiösen, rituellen oder kulturellen Gründen gehandelt hatte, die nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung abgerechnet werden dürfen.

Das LSG NRW hatte hierbei darauf hingewiesen, dass die KV rechtsfehlerfrei anstelle der in Ansatz gebrachten GOP 31102, 31503 und 31609 EBM die GOP 02302 EBM (Kleinchirurgischer Eingriff III und/oder primäre Wundversorgung bei Säuglingen, Kleinkindern und Kindern) „zugesetzt“ hatte. Zwar würden bei einer sachlich-rechnerischen Richtigstellung die zu Unrecht abgerechneten Leistungen in der Regel gestrichen. Aber wenn die KV berechtigt sei, die Vergütung für die nicht entstandene Leistung insgesamt zu verweigern, sei die Klägerin durch die Zubilligung einer geringeren Vergütung nicht beschwert. Ein weitergehendes Ermessen sei bei sachlich-rechnerischen Richtigstellungen jedoch nicht auszuüben; es handele sich um sog. gebundene Entscheidungen.


RA Detlef Kerber

lennmed.de Rechtsanwälte

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