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Auch ein halber Versorgungsauftrag kann bei Nichtausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit ganz entzogen werden

Ein Facharzt für Humangenetik, der in vier aufeinanderfolgenden Quartalen nach Zulassung lediglich ein bis zehn Fälle abrechnet und in den drei Folgequartalen keinen einzigen Fall, füllt von Anfang an seinen halben Versorgungsauftrag nicht aus, weshalb ihm die Zulassung wegen Nichtausübens der vertragsärztlichen Tätigkeit entzogen werden kann. Dabei ist es unerheblich, ob der Arzt nie beabsichtigt hat, den hälftigen Versorgungsauftrag tatsächlich auszufüllen, oder lediglich äußere Umstände wie die Coronakrise einen Praxisaufbau verhindert haben.

Der Sachverhalt

Der klagende Facharzt für Humangenetik war zum 01.10.2019 mit einem halben Versorgungsauftrag in Hessen zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen worden. In den Quartalen IV/2019 bis III/2020 rechnete er einmal zehn, ansonsten ein bis drei Fälle pro Quartal ab. Demgegenüber lag der hessische Fachgruppendurchschnitt für diese Arztgruppe bei ca. 230 Fällen im Quartal. Seine KV-Honorarumsätze bewegten sich zwischen 0,51 € und 4.418,23 € pro Quartal. Die Zulassungsgremien entzogen dem Kläger daraufhin die Zulassung wegen Nichtausübung seiner vertragsärztlichen Tätigkeit.

Die Entscheidung des Sozialgerichts Marburg

Mit Gerichtsbescheid vom 30.03.2022 (Az. S 12 KA 226/21) bestätigte das SG Marburg die Zulassungsentziehung als rechtmäßig.

Ab einer Fallmenge pro Quartal, die - wie hier - unter 10% des Fachgruppendurchschnitts liege, sei unbedenklich von einer Nichtausübung der Vertragsarzttätigkeit auszugehen. Angesichts dieses geringen Abrechnungsumfangs und der geringen Honorarumsätze komme es weder auf das Maß der angebotenen Sprechstundenzeiten an noch greife der Einwand, es werde ein besonderes Patientenklientel betreut, dessen Behandlung überdurchschnittlich viel Zeit in Anspruch nehme. Damit habe der Kläger von Anfang an seinen halben Versorgungsauftrag nicht ausgefüllt. Insbesondere sei nicht erkennbar, dass er allmählich überhaupt eine Praxis aufgebaut hätte. Dabei sei es unerheblich, ob er nie beabsichtigt habe, den hälftigen Versorgungsauftrag tatsächlich auszufüllen, oder lediglich äußere Umstände wie die Coronakrise einen Praxisaufbau verhindert hätten. Der Kläger habe zwischenzeitlich seine Praxistätigkeit offensichtlich auch ganz eingestellt. Es fehle an einem Willen zur kontinuierlichen Teilnahme an der Versorgung, wenn ein Arzt über mehrere Quartale hinweg nur sporadisch Abrechnungen zu wenigen Behandlungsfällen einreiche und von ihm nicht dargelegt werde, wie er zukünftig die vertragsärztliche Tätigkeit kontinuierlich ausüben wolle.

Von daher scheide auch eine Entziehung bloß eines Viertelversorgungsauftrages aus. Angesichts der Praxisaufgabe kommt auch nicht eine Anordnung des Ruhens als milderes Mittel in Betracht. Es sei nicht erkennbar, dass der Kläger gewillt sei, in den nächsten zwei Jahren seine vertragsärztliche Tätigkeit wiederaufzunehmen.

Hinweise für die Praxis

Gerichtsbescheide ergehen ohne mündliche Verhandlung und ohne Beteiligung der ehrenamtlichen Richter in rechtlich und tatsächlich einfach gelagerten Fällen. Davon ist das SG Marburg hier im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts und zahlreicher Landessozialgerichte ausgegangen.

Die Entziehung der Zulassung wegen Nichtausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit erfordert die Prognoseentscheidung über die voraussichtliche Dauer der Untätigkeit anhand aller bekannten Umstände des Einzelfalls. Soweit ein Vertragsarzt seinen Versorgungsauftrag tatsächlich nicht oder jedenfalls über einen längeren Zeitraum nicht annähernd im Umfang seiner Zulassung wahrnimmt, ist die Zulassung zu entziehen. Indizien dafür sind vor allem Fallzahlen sehr weit unter dem Fachgruppendurchschnitt. Für die Annahme der Ausübung genügt es nicht, dass der Vertragsarzt noch in geringem Umfang Verordnungen und Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ausstellt. Unerheblich ist auch, ob der Vertragsarztsitz in einem Gebiet gelegen ist, für das der Landesausschuss Über- oder Unterversorgung festgestellt hat.

Diese Maßgaben gelten im Übrigen auch für die Mitglieder einer Berufsausübungsgemeinschaft (BAG). Zwar ist für diese typisch, dass ihre Mitglieder vorübergehend oder auch dauerhaft nicht in gleichem zeitlichem Umfang in der gemeinsamen Praxis tätig sind. Die vertragsärztliche Tätigkeit in einer BAG wird häufig gerade gewählt, weil innerhalb der Kooperation flexibel auf wechselnde Lebenssituationen reagiert werden kann. Um aber einen Missbrauch dieser Gestaltungsmöglichkeiten zu verhindern, indem etwa eine BAG reine „Zählmitglieder“ aufnimmt, um eine übermäßige Ausdehnung der vertragsärztlichen Tätigkeit zu verdecken, muss ein Vertragsarzt kontinuierlich in nennenswertem Umfang an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmen. Seit der Einführung der lebenslangen Arztnummer kann dies ohne Weiteres von der KV nachvollzogen werden.

Der Zulassungsausschuss kann statt einer vollständigen auch die Entziehung der Hälfte oder eines Viertels der Zulassung beschließen. Bei einem halben Versorgungsauftrag - wie hier - scheidet eine hälftige Entziehung indes aus. Bei Entzug einer ¼-Zulassung würde lediglich ein Versorgungsauftrag mit dem Faktor 0,25 verbleiben. Vertragsärztliche Zulassungen mit einem derart geringen Umfang sind jedoch nicht zulässig. Eine Zulassung als Vertragsarzt kann bis heute nur als Vollzeitzulassung oder mit einer Beschränkung auf die Hälfte oder drei Viertel des Versorgungsauftrags erteilt werden. Die kleinste „Einheit“ im Zulassungsrecht ist damit der halbe Versorgungsauftrag. Lediglich im Bereich vertragsärztlicher Anstellungen kommen Versorgungsaufträge zu ¼ in Betracht.

Die Entscheidung des SG Marburg ist rechtskräftig.


RA Detlef Kerber

lennmed.de Rechtsanwälte

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