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Aus für Pool(zahn)ärzte im Notfalldienst?

Vertrags(zahn)ärzte (m/w/d) sind gesetzlich zum (zahn)ärztlichen Notfall- oder Bereitschaftsdienst außerhalb der regulären Sprechzeiten verpflichtet. Zusätzlich können auf freiwilliger Basis sog. Pool(zahn)ärzte an diesem Dienst teilnehmen. Das sind z.B. Ruheständler ohne Kassenzulassung und ohne eigene Praxis, die als „freie Mitarbeiter“ einen Kooperationsvertrag mit der Kassen(zahn)ärztlichen Vereinigung schließen. In einem spektakulären Urteil vom 24.10.2023 - B 12 R 9/21 R - hat das Bundessozialgericht (BSG) entschieden, dass allein die Teilnahme am vertragszahnärztlichen Notfalldienst nicht generell zur Annahme einer selbstständigen Tätigkeit führe. Vielmehr könne je nach Situation im Einzelfall eine Versicherungspflicht in der gesetzlichen Renten- und Arbeitslosenversicherung aufgrund Beschäftigung begründet werden.

Der Fall

Der 1954 geborene Kläger verkaufte zum 31.03.2017 seine Zahnarztpraxis und verfügt seitdem auch nicht mehr über eine Zulassung zur vertragszahnärztlichen Versorgung. Von Januar 2018 bis April 2019 war er an bestimmten Tagen für die KZV Baden-Württemberg als Zahnarzt im Rahmen des Notdienstes überwiegend am Wochenende tätig. Die Tätigkeit fand in durch die KZV angemieteten und durch diese mit Geräten und Material ausgestatteten Räumlichkeiten eines Notfalldienstzentrums statt. Die Notdienstschichten wurden entsprechend den Wünschen des Klägers festgelegt und ihm durch einen Dienstplan bekanntgegeben. Tausche waren untereinander abzuklären und der KZV mitzuteilen. Während einer Schicht waren neben dem Kläger ein bis zwei zahnmedizinische Fachangestellte anwesend, die Assistenz- und Dokumentationstätigkeiten ausführten und zum Großteil auf Minijobbasis tätig wurden. Die Vergütung des Klägers richtete sich nach der jeweiligen Schicht und lag pro Stunde zwischen 34 € und 50 €. Für seine Tätigkeit erhielt er von der KZV im Jahre 2018 insgesamt eine Vergütung i.H.v. 9.651 €, im Jahre 2019 i.H.v. 3.290 €.

Die Entscheidung

Im Revisionsverfahren hielt das BSG diese konkrete Tätigkeit für sozialversicherungspflichtig. Ausschlaggebend für die Annahme einer abhängigen Beschäftigung sei, dass der Kläger in die von der KZV zur Erfüllung ihres Sicherstellungsauftrages organisierten Abläufe eingegliedert gewesen sei, ohne hierauf nachhaltig unternehmerisch Einfluss nehmen zu können. Die KZV habe die Räumlichkeiten angemietet und für die personelle und materielle Ausstattung im Notfalldienstzentrum gesorgt. Die notfallmäßige Behandlung habe der Kläger nur unter Nutzung der medizinischen Geräte der KZV im arbeitsteiligen Zusammenwirken mit den ebenfalls von der KZV gestellten Hilfskräften erbringen können. Das Recht, Equipment oder Personal zu verändern oder auf deren Auswahl zumindest Einfluss zu nehmen, sei ihm nicht eingeräumt gewesen.

Die Möglichkeit des Klägers, unter bestimmten Voraussetzungen Schichten zu tauschen, falle nicht entscheidend ins Gewicht. Ihm sei nicht das allgemeine Recht eingeräumt gewesen, nach seinem Ermessen den Dienst an einen anderen Zahnarzt zu delegieren. Vielmehr habe er die Pflicht gehabt, im Falle seiner eigenen Verhinderung in zwingenden Fällen im Interesse der KZV für eine qualifizierte Ersatzkraft zu sorgen.

Insbesondere sei der Kläger nicht einem nennenswerten Unternehmerrisiko ausgesetzt gewesen. Er habe einen festen Lohn für geleistete Einsatzstunden erhalten und hätte keinen Verdienstausfall zu befürchten gehabt. Das praktizierte Notdienstmodell mit einer Vergütung nach einem festen Stundensatz unterscheide sich erheblich vom allgemeinen Vergütungssystem der vertrags(zahn)ärztlichen Versorgung mit einer Vergütung der individuell erbrachten Leistungen. Das einzig in Betracht kommende Risiko, von der KZV keine weiteren Folgeaufträge zu erhalten, sei für die Frage seines Status in dieser Tätigkeit irrelevant. Denn aus dem (allgemeinen) Risiko, außerhalb der Erledigung einzelner Aufträge zeitweise die eigene Arbeitskraft ggf. nicht verwerten zu können, folge kein Unternehmerrisiko bezüglich der einzelnen Einsätze.

Es liege auch keine geringfügige Beschäftigung („Minijob“) vor. Die Überschreitung der Entgeltgrenze von 450 € monatlich sei von vornherein absehbar gewesen. Der Kläger sei auch nicht zeitgeringfügig (Begrenzung der Beschäftigung innerhalb eines Kalenderjahres auf längstens drei Monate oder 70 Arbeitstage nach ihrer Eigenart), sondern regelmäßig im vertragszahnärztlichen Notdienst bei der KZV beschäftigt gewesen. Denn die Einzelaufträge seien bei vorausschauender Betrachtung von vornherein auf ständige Wiederholung angelegt gewesen, ohne dass eine zeitliche Begrenzung vertraglich vereinbart worden sei.

Ausdrücklich betont das BSG in dem sehr ausführlich begründeten Urteil, dass es sich allein um eine Entscheidung in einem konkreten Einzelfall gehandelt habe. Die Abgrenzung zwischen Beschäftigung und Selbstständigkeit sei nicht abstrakt für bestimmte Berufs- und Tätigkeitsbilder vorzunehmen. Ein und derselbe Beruf könne - je nach konkreter Ausgestaltung der vertraglichen Grundlagen in ihrer gelebten Praxis - entweder als Beschäftigung oder als selbstständige Tätigkeit ausgeübt werden. Das gelte auch für die (zahn)ärztliche Tätigkeit in einem Notdienst. Für dessen Organisation und Durchführung gebe es keine allgemeingültigen Vorgaben, sondern einen weiten Gestaltungsspielraum für die KVen und KZVen. Es kämen daher unterschiedliche Modelle in Betracht: Einrichtung eines ärztlichen Not- oder Bereitschaftsdienstes (allgemeiner und fachärztlicher Bereitschaftsdienst) zu sprechstundenfreien Zeiten, an dem Vertragsärzte oder hierfür ermächtigte oder kooperierende Ärzte teilnähmen und in ihren Praxen, ggf. durch Hausbesuche, zur Verfügung stünden; Einrichtung eines mobilen Not- oder Bereitschaftsdienstes („Taxiarzt“); Einrichtung einer durch die KV betriebenen Notfallpraxis, in der Vertragsärzte oder hierfür ermächtigte oder kooperierende Ärzte Dienst täten; für Notfallbehandlungen ermächtigte Krankenhäuser; Kooperation mit nicht ermächtigten Krankenhäusern. Angesichts dieser Vielfältigkeit könne ein einheitlicher sozialversicherungsrechtlicher Erwerbsstatus von den vertrags(zahn)ärztlichen Notdienst wahrnehmenden Ärzten nicht bestimmt werden.

Auswirkungen für die Praxis

Bereits kurz nach seiner Verkündung im Oktober 2023 zeitigte das Urteil umgehend Konsequenzen. Viele K(Z)Ven zogen die „Notbremse“ und kündigten mit sofortiger Wirkung ihren Poolärzten, da die anfallenden Sozialversicherungsbeiträge - je zur Hälfte von der K(Z)V als Arbeitgeberin und den Poolärzten als Arbeitnehmern zu entrichten - nicht finanzierbar seien. Manche Notfallpraxen wurden sogar komplett geschlossen. Das führt dazu, dass ausschließlich Praxisinhaber oder vom MVZ zur Dienstübernahme bestimmte angestellte Ärzte im Dienstplan zum Notfall- oder Bereitschaftsdienst eingeteilt werden. Auf die schon zur Sprechstundenzeit überlastete Ärzteschaft kommen damit weitere Belastungen in Form zusätzlicher Nacht- und Wochenenddienste zu. Auch die Kliniken rechnen mit mehr Zulauf in den Notaufnahmen. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) und alle 17 KVen drängen daher das Bundesgesundheitsministerium in einem gemeinsamen Schreiben auf eine gesetzliche Ausnahmeregelung, wie sie bereits für Notärzte im Rettungsdienst gilt (§ 23c Abs. 2 SGB IV). Deren Einnahmen unterliegen unter bestimmten Voraussetzungen nicht der Beitragspflicht zur gesetzlichen Sozialversicherung.


RA Detlef Kerber  

RA Philipp Ungeheuer

lennmed.de Rechtsanwälte

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