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Darf das häusliches Arbeitszimmer durch einen „Flankenschutzprüfer“ kontrolliert werden?

In seinem Urteil vom 12. Juli 2022 (Az. VIII R 8/19) entschied der Bundesfinanzhof (BFH), ob die Überprüfung der Angaben eines Steuerpflichtigen zu seinem häuslichen Arbeitszimmer durch den unangekündigten Besuch eines Flankenschutzprüfer erfolgen kann.

Sachverhalt

Eine selbständige Unternehmensberaterin machte in ihrer Einkommensteuererklärung erstmals Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer geltend. Auf Nachfrage des Finanzamts reichte sie eine Skizze der Wohnung ein, die der Sachbearbeiter des Finanzamtes aber für klärungsbedürftig hielt – handschriftlich war auf der Skizze die Frage "Wo wird stattdessen geschlafen?" vermerkt worden.  Entsprechend schaltete er mit Schreiben vom 02.05.2017 den hausinternen "Flankenschutzprüfer" ein. Der Finanzbeamte erschien unangekündigt an der Wohnungstür der Steuerpflichtigen, wies sich als Steuerfahnder aus und betrat unter Hinweis auf die Überprüfung im Besteuerungsverfahren die Wohnung. Die Steuerpflichtige widersprach der Besichtigung nicht. Der Finanzbeamte stellte fest, dass die Angaben der Steuerpflichtigen in der Steuererklärung den Tatsachen entsprachen und das Arbeitszimmer existierte.

Gegen die Besichtigung legte die Steuerpflichtige Einspruch ein. Dieser wurde als unzulässig verworfen. Die daraufhin erhobene Klage auf Feststellung, dass die Besichtigung rechtswidrig war, wies das Finanzgericht Münster (FG Münster, Urt. v. 11.07.2018 – 9 K 2384/17) mangels Feststellungsinteresse als unzulässig ab. Gegen diese Entscheidung legte die Klägerin das Rechtsmittel der Revision ein, mit der sie die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügte. Mit Erfolg!

Wohnungsbesichtigung rechtswidrig

Der BFH entschied, dass die unangekündigte Wohnungsbesichtigung durch einen Beamten der Steuerfahndung als sog. Flankenschutzprüfer zur Überprüfung der Angaben der Steuerpflichtigen zu einem häuslichen Arbeitszimmer rechtswidrig war. Die Wohnungsbesichtigung verletzte den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, da gleich geeignete, mildere Mittel (weiteres schriftliches Auskunftsersuchen, Ortsbesichtigung nach vorheriger Benachrichtigung oder Inaugenscheinnahme des häuslichen Arbeitszimmers durch einen Mitarbeiter der Veranlagungsstelle) zur Verfügung gestanden hätten.

Wohnungsbesichtigung erst, wenn keine anderweitige Sachaufklärung möglich

Die Überprüfung der Angaben zum häuslichen Arbeitszimmer im Besteuerungsverfahren durch eine Wohnungsbesichtigung eines mitwirkungsbereiten Steuerpflichtigen sei angesichts des in Art. 13 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) verbürgten Schutzes der Unverletzlichkeit der Wohnung erst dann erforderlich, wenn die Unklarheiten durch weitere Auskünfte oder andere Beweismittel (z.B. Fotografien) nicht mehr sachgerecht aufgeklärt werden können. Dies gelte auch dann, wenn der Steuerpflichtige – so wie im Streitfall – der Besichtigung zugestimmt habe und deshalb kein schwerer Grundrechtseingriff vorliege.

Vorherige Benachrichtigung erforderlich

Zudem sei entgegen § 99 Abs. 1 S. 2 Abgabenordnung (AO) die Benachrichtigung der Klägerin über die anstehende Ortsbesichtigung unterblieben. Die Behörde dürfe nicht zu Ungunsten des Steuerpflichtigen pauschal annehmen, dass eine vorherige Benachrichtigung generell dazu benutzt werde, das häusliche Arbeitszimmer noch entsprechend herzurichten und die Spuren bisheriger Nutzung als Wohnraum zu vernichten. Es sei deshalb zu verlangen, dass im konkreten Einzelfall Anhaltspunkte dafür vorliegen müssten, der Kontrollzweck könne durch die Benachrichtigung über die Besichtigung des häuslichen Arbeitszimmers gefährdet oder vereitelt werden. Solche Anhaltspunkte habe das Finanzamt aber weder bei der Auswahl des Mittels noch anderweitig dargelegt.

Steuerfahnder vermittelt strafrechtliche Ermittlung

Zudem habe die Ermittlungsmaßnahme von einem Mitarbeiter der Veranlagungsstelle und nicht von einem Steuerfahnder durchgeführt werden müssen.  Denn das persönliche Ansehen des Steuerpflichtigen könne dadurch gefährdet werden, dass zufällig anwesende Dritte (z.B. Besucher oder Nachbarn) glaubten, dass beim Steuerpflichtigen strafrechtlich ermittelt werde.


Bita Foroghi, LL.M. oec.

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