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Die telemedizinische Hinzuziehung eines Facharztes und ihre Voraussetzungen

Das Landgericht München II (Urteil vom 10.05.2022, Az. 1 O 4395/20 Hei) befasste sich im Rahmen einer Haftungsfrage mit den Anforderungen bezüglich der Organisations- und Koordinationspflicht, die zur telemedizinischen Hinzuziehung eines Facharztes gegeben sein müssen. Vorliegend ging es um die Behandlung eines Schlaganfallpatienten durch ein kleineres Krankenhaus.

Der Fall

Am 01.02.2017 kollabierte die damals 47-jährige Klägerin in ihrem Wohnzimmer. Ein Rettungswagen brachte sie in das (kleinere) Krankenhaus der beklagten Klinik, wo sie um 18.49 Uhr eintraf. Um 19.26 Uhr veranlassten die Ärzte dort eine CT-Untersuchung, die telemedizinisch an die Ärzte des größeren Zentralklinikums übersendet wurde. Diese werteten die Befunde aus und erstellten eine Diagnose.

Mangels Besserungseintritts wandte sich der Arzt um 20.00 Uhr erneut an das Zentralklinikum und bat um eine Neubefundung in Form einer CT-Angiografie.

Um 21.45 Uhr teilten die Ärzte des Zentralklinikums den Ärzten der beklagten Klinik die Diagnose eines akuten ischämischen Mediainfarkts rechts mit.

Um 22.45 Uhr wurde die Klägerin mit dem Rettungswagen in ein anderes Klinikum verlegt. Zuvor hatte der Rettungshubschrauber um 22.01 Uhr mitgeteilt, wegen schlechten Wetters nicht starten zu können.

Die Klägerin erlitt einen schweren Schlaganfall und ist jetzt schwerbehindert. Sie begehrt Schmerzensgeld aufgrund schuldhafter Verzögerung der notwendigen Verlegung.

Sie ist der Ansicht, dass der schwere Schlaganfall mit bleibender Behinderung bei rechtzeitiger Diagnostik und mechanischer Rekanalisation hätte verhindert werden können.

Die Entscheidung

Das Landgericht gab der Klägerin Recht. Ihr stehe der Schadensersatzanspruch zu, weil zur Überzeugung der Kammer feststehe, dass ihre Gesundheit infolge eines Behandlungsfehlers der Beklagten nicht unerheblich geschädigt worden ist.

Eine CT-Angiografie sei nicht zeitgerecht durchgeführt worden. Wäre sie zeitgerecht erfolgt, hätte sie mit überwiegender Wahrscheinlichkeit einen Schlaganfall als reaktionspflichtigen Befund gezeigt. Das beklagte Krankenhaus habe der infolge einer verzögerten Behandlung schwerbehinderten Patientin den eingetretenen Gesundheitsschaden zu entschädigen und auch für die weiteren Folgen einzustehen. Das Gericht hielt ein Schmerzensgeld in Höhe von 120.000 € für angemessen.

Engmaschigste Vernetzung erforderlich

Versorgt ein kleineres Krankenhaus Schlaganfallpatienten unter telemedizinischer Hinzuziehung von Fachleuten einer größeren Klinik, so ist eine engmaschigste Vernetzung erforderlich, um eine zeitnahe und fachkundige Versorgung dieser Patienten zu gewährleisten. Erforderlich sind detaillierte Regelungen, wer für was zuständig ist. Diese können beispielsweise in einer SOP (Standard-Operating-Procedure) niedergelegt werden.

Die Vereinbarung, leitlinienkonform behandeln zu wollen, genügt dabei nicht, um der Organisations- und Koordinationspflicht zu entsprechen. Werden diese Grundsätze verletzt und verzögert sich dadurch die Behandlung des Schlaganfallpatienten, so dass es zu Schäden des Patienten kommt, so haftet die Klinik aus einem Organisationsverschulden. Die Haftung erstreckt sich sodann auch auf Versäumnisse der größeren Klinik.


RA Michael Lennartz

lennmed.de Rechtsanwälte

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