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Hatespeech: BVerfG zu Auskunftsanspruch gegen Plattformbetreiber

Mit kürzlich veröffentlichtem Beschluss (Beschluss vom 19. Dezember 2021 – 1 BvR 1073/20) hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) mehrere zivilgerichtliche Entscheidungen aufgehoben, mit denen der Beschwerdeführerin die notwendige gerichtliche Anordnung zur Auskunft über Bestandsdaten von Nutzern gegenüber einer Social Media Plattform versagt wurden. Diese verletzten die Klägerin in ihrem Persönlichkeitsrecht.

 

Worum ging es?

Die Beschwerdeführerin, eine Bundestagsabgeordnete, war verschiedenen Kommentaren unterschiedlicher Nutzer ausgesetzt, die auf einen Post eines Blogbetreibers im Zusammenhang mit vermeintlichen Aussagen der Beschwerdeführerin über Pädophilie zurückgingen. Der Post bewog zahlreiche Nutzer unter anderem zu folgenden Kommentaren:

„Pädophilen-Trulla“; „Die alte hat doch einen Dachschaden, die ist hol wie Schnittlauch man kann da nur noch“; „Mensch… was bist Du Krank im Kopf!!!“; Die ist Geisteskrank“; „Ich könnte bei solchen Aussagen diese Personen die Fresse polieren“; „Sperrt diese kranke Frau weck sie weiß nicht mehr was sie redet“; „Die sind alle so krank im Kopf“; Gehirn Amputiert“; „Kranke Frau“ und „Sie wollte auch mal die hellste Kerze sein, Pädodreck.“.

Die Beschwerdeführerin verlangte daraufhin zur Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche wegen der Verletzung absolut geschützter Rechte aufgrund rechtswidriger Inhalte die gerichtliche Gestattung der Auskunftserteilung über die Bestandsdaten dieser Nutzer. Die Daten der Nutzer, die Gegenstand des Auskunftsanspruchs waren, können vom Plattformbetreiber nur herausgegeben werden, wenn ein Auskunftsanspruch gerichtlich festgestellt ist.

Das Landgericht Berlin (LG Berlin, Beschl. v. 9.9.2019 und 21.1.2020 - 27 AR 17/19 -) und das Kammergericht (KG, Beschl. v. 11.3.2020 und 6.4.2020 - 10 W 13/20 -) stuften allerdings nur 12 der 22 geltend gemachten Äußerungen als strafbare Beleidigung ein und gestatteten die Beauskunftung bezüglich dieser Äußerungen.

Für zehn weitere Äußerungen, etwa Kommentare wie "Pädophilen-Trulla" oder "Die alte hat doch einen Dachschaden", sei die Schwelle zum Straftatbestand der Beleidigung nicht überschritten, so dass der Anspruch auf Beauskunftung abgelehnt wurde.

Mit der Verfassungsbeschwerde rügte die Beschwerdeführerin unter anderem die Verletzung ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Die Gerichte hätten die Beauskunftung der Nutzerdaten zu Unrecht nicht gestattet.

 

Die Entscheidung

Das BVerfG bestätigte, dass die Entscheidungen die Beschwerdeführerin in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG verletzen, soweit sie die Anordnung hinsichtlich der zehn verbliebenen Kommentare versagt haben, und hob die Entscheidungen auf.

Die mit den Anordnungen befassten Gerichte hätten unter Verkennung von Bedeutung und Tragweite des Persönlichkeitsrechts die verfassungsrechtlich erforderliche Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit und dem Persönlichkeitsrecht unterlassen. Insbesondere hätten die Gerichte einen fehlerhaften, mit dem Persönlichkeitsrecht der von ehrenrührigen Äußerungen Betroffenen unvereinbaren Maßstab angelegt, wenn angenommen wurde, eine Äußerung erreiche strafrechtliche Relevanz erst dann, wenn ihr diffamierender Gehalt so erheblich sei, dass sie in jedem denkbaren Sachzusammenhang als bloße Herabsetzung des Betroffenen erscheine. Dies würde dazu führen, dass eine Beleidigung mit der sog. Schmähkritik gleichgesetzt werde.

Infolge fehlerhafter Maßstabsbildung mangele es für alle verfahrensgegenständlichen Äußerungen an der verfassungsrechtlich gebotenen Abwägung der betroffenen Rechtspositionen im Rahmen der rechtlichen Würdigung. Die von den Zivilgerichten zum Teil begründungslos verwendete Behauptung, die Beschwerdeführerin müsse den Angriff als Politikerin im öffentlichen Meinungskampf hinnehmen, ersetzten die erforderliche Abwägung nicht.

Das BVerfG wies den Rechtsstreit an das KG zurück, das nun erneut über die Sache entscheiden muss.


RAin Bita Foroghi

lennmed.de Rechtsanwälte

Bonn | Berlin | Baden