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Kann einem ungeimpften Zahnarzt ein Tätigkeitsverbot erteilt werden?

Darüber hatte das Oberverwaltungsgericht Lüneburg (OVG) (Beschluss vom 8. September 2022 – 14 ME 297/22) in einem Eilverfahren in zweiter Instanz zu entscheiden.

Was war geschehen?

Einem ungeimpften Zahnarzt aus dem Landkreis Grafschaft Bentheim wurde auf Grundlage des § 20a Abs. 1, Abs. 2 Infektionsschutzgesetz (IfSG) durch das zuständige Gesundheitsamt befristet bis zum 31. Dezember 2022 untersagt, in seiner Zahnarztpraxis oder in einer anderen Einrichtung, die dem Geltungsbereich des § 20 Abs. 1 IfSG unterfällt, als Zahnarzt tätig zu sein.

Nach § 20a Abs. 1 und 2 IfSG müssen Personen in bestimmten Einrichtungen, zu denen u.a. Arzt- und Zahnarztpraxen gehören, seit dem 15. März 2022 über einen Impf- oder Genesenennachweis gegen das Coronavirus verfügen, um in einer solchen Einrichtung tätig sein zu dürfen. Das zuständige Gesundheitsamt kann einer Person, die den erforderlichen Nachweis nicht innerhalb einer angemessenen Frist vorlegt, u.a. untersagen, dass sie in einer solchen Einrichtung tätig wird.

Gegen diese Entscheidung wandte sich der betroffene Zahnarzt mit einem Eilantrag und einer Klage vor dem Verwaltungsgericht Osnabrück (VG Osnabrück). Zur Begründung hatte er vorgebracht, Zahnärzte seien von der Pflicht zur Vorlage eines Immunitätsnachweises nicht erfasst, zudem liege bislang kein nach dem Arzneimittelgesetz zulässiger Impfstoff gegen das Coronavirus vor.

Dem folgte das VG Osnabrück (VG Osnabrück, Beschluss vom 25. Juli 2022 – 3 B 104/22) nicht:

Die Rechtsgrundlage im IfSG für den Erlass des Tätigkeitsverbotes sei nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Beschluss vom 27. April 2022 – 1 BvR 2649/21) verfassungsgemäß. Die Verpflichtung zur Vorlage eines Immunitätsnachweises gelte namentlich auch für in Zahnarztpraxen tätige Personen, die aktuell vorliegenden Impfstoffe gegen das Coronavirus seien von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) anerkannt. Es sei keine medizinische Kontraindikation gegen die Impfung dargelegt worden und auch Ermessensfehler des Gesundheitsamtes bei der Anordnung des Tätigkeitsverbotes seien nicht ersichtlich.

Nicht nur das Infektionsrisiko des Antragstellers auch das Übertragungsrisiko sei, da der Antragsteller als Zahnarzt regelmäßig in unmittelbarem Kontakt zur Mund- und Nasenöffnung der Patienten stehe, erheblich erhöht. Das nach dem Infektionsschutzgesetz mit einer Verpflichtung zur Vorlage eines Immunitätsnachweises belegte Personal in Heil- und Pflegeberufen trage schließlich eine besondere Verantwortung gegenüber seinen Patienten, dessen es sich bereits bei der Berufswahl bewusst sein müsse.

Gegen die erstinstanzliche Entscheidung legte der Zahnarzt Rechtsmittel zum Oberverwaltungsgericht Lüneburg (OVG Lüneburg Beschl. v. 8. September 2022 – 14 ME 297/22) ein. Ohne Erfolg!

Die Entscheidung

Das OVG Lüneburg wies das Rechtsmittel des Zahnarztes zurück und bestätigte die erstinstanzliche Entscheidung.

§ 20a IfSG verfassungskonform

Das angegriffene Tätigkeitsverbot finde seine Rechtsgrundlage in § 20a Abs. 5 Satz 3 IfSG. Die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes im streitgegenständlichen Verfahren laufe darauf hinaus, eine gesetzliche Regelung jedenfalls vorläufig nicht anzuwenden. Wegen des Verwerfungsmonopols des Bundesverfassungsgerichts sei dafür aber Voraussetzung, dass der Grundrechtsverstoß durch das Gesetz evident bzw. offenkundig sei. Eine solche offensichtliche Verfassungswidrigkeit des § 20a IfSG sei aber nicht festzustellen.

Das OVG verwies ebenfalls auf die Entscheidung des BVerfG (a.a.O.), wonach nach überwiegender fachlicher Einschätzung von einer erheblichen Reduzierung der Infektions- und Übertragungsgefahr durch die Covid-19-Impfung auszugehen sei. Die ursprüngliche gesetzgeberische Prognose, die verfügbaren Impfstoffe würden auch gegenüber der Omikron-Variante des Coronavirus eine noch relevante Schutzwirkung entfalten, sei nach wie vor nicht durchreifend erschüttert worden. Dies gelte insbesondere auch für die Prognose des Gesetzgebers, die verfügbaren Impfstoffe könnten vor einer Infektion schützen und - sollten sich Betroffene gleichwohl infizieren - zu einer Reduzierung des Übertragungsrisikos beitragen.

Hiervon ging das OVG auch zum maßgeblichen Zeitpunkt seiner Entscheidung weiter aus und wies darauf hin, dass sich die wissenschaftliche Erkenntnislage seit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nicht derart geändert habe, dass die ursprüngliche Annahme des Gesetzgebers unzutreffend geworden sei und deshalb von einer offenkundigen materiellen Verfassungswidrigkeit des § 20a IfSG auszugehen wäre.

Öffentlicher Gesundheitsschutz rechtfertigt Eingriff

Es bestätigte ebenfalls, dass das zuständige Gesundheitsamt bei seiner konkreten Entscheidung das ihm zustehende Ermessen ordnungsgemäß ausgeübt habe. Insbesondere bestünden keine durchgreifenden rechtlichen Bedenken im Hinblick auf die Verhältnismäßigkeit des angeordneten Tätigkeitsverbotes, das dem Schutz von Gesundheit und Leben der behandelten und im Hinblick auf eine Covid-19-Erkrankung jedenfalls teilweise als besonders vulnerabel einzustufenden Patienten des Antragstellers diene.

Das Verwaltungsgericht habe bei seiner angegriffenen Entscheidung auch zutreffend berücksichtigt, dass gerade ein Zahnarzt unmittelbaren und engen Kontakt zu den Gesichtern seiner Patienten habe und dass dadurch die Übertragungswahrscheinlichkeit ohnehin bereits erhöht sei.

Die Entscheidung ist nicht anfechtbar.


RAin Bita Foroghi LL.M. oec.

lennmed.de Rechtsanwälte

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