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Scheinsozietät und vertragszahnärztliche Zulassungsentziehung

Das Landessozialgericht Berlin Brandenburg (LSG), entschied mit Urteil vom 21.09.2022 (L 7 KA 4/20) über die Rechtmäßigkeit der Entziehung der vertragszahnärztlichen Zulassung. Hintergrund war die Schaffung einer überörtlichen Berufsausübungsgemeinschaft (üBAG), welche als Scheingesellschaft fungierte und faktisch zu Anstellungsverhältnissen der eintretenden Zahnärzte führte.

Hintergrund

Ein Zahnarzt hatte gegen die erstinstanzliche Entscheidung über die Entziehung seiner Vertragszahnärztlichen Zulassung geklagt. Ihm wird vorgeworfen, durch die Schaffung einer Scheingesellschaft und faktischen Anstellungsverhältnissen, vertragszahnärztliche Pflichten gröblich verletzt zu haben.

Der Kern der Vorwürfe

Der Kläger ist seit 1991 als Vertragszahnarzt zugelassen. Er gründete erst eine GbR, welche sodann in einer üBAG aufgehen sollte. Im Laufe der Jahre wurde diese immer größer.

Erkennbares Modell des Klägers war eine Kooperation mit Praxisverkauf und der Aufnahme von Berufsanfängern ohne Praxis. Die sog. „Seniorpartner“ sollten Mitglieder der üBAG auf Zeit sein, d.h. nach und nach weniger praktizieren. Aufgefangen werden sollte dies durch die „Juniorpartner“, die ohne Praxis nur ihre Arbeitskraft einbrachten. Die Verkäufer verpflichteten sich daher in den Kaufverträgen ab 2012, ihre Tätigkeit (schrittweise) zu reduzieren und die Integration von jüngeren üBAG-Mitgliedern in ihrem Umfeld mit entsprechender Überführung der Patienten zu fördern.

Überschattet wurde dies zudem mit undurchsichtigen Gewinnausschüttungen und Risikoverteilungen für die verschiedenen beteiligten Zahnärzte.

Entziehung der Zulassung

Die letztmalig genehmigte üBAG erklärte der Zulassungsausschuss durch einen Beschluss zum 30. Juni 2015 für beendet. Mit mehreren Beschlüssen vom 2. September 2015 stellte der Zulassungsausschuss fest, dass die früheren Genehmigungen der üBAGs für die Zeit vom 1. Juli 2008 bis zum 30. Juni 2015 rechtswidrig zustande gekommen seien. Daraufhin entzog der Zulassungsausschuss dem Kläger nach Anhörung mit Beschluss vom 31. August 2016 die vertragszahnärztliche Zulassung.

Die Gründe zur Entziehung

Der Kläger habe gröblich gegen seine vertragszahnärztlichen Pflichten verstoßen. Er habe die Genehmigungen der üBAGs durch arglistige Täuschung erlangt, indem er bei Antragsstellung nicht alle für die Prüfung der Genehmigungsfähigkeit der üBAG erforderlichen Unterlagen, insbesondere die Praxiskaufverträge, vorgelegt habe. Der Kläger habe zudem vertragszahnärztliche Leistungen nicht peinlich genau abgerechnet, weil nicht alle Mitglieder der üBAGs tatsächlich in freier Praxis tätig gewesen seien. Es hätten stattdessen verdeckte Angestelltenverhältnisse vorgelegen. Darüber hinaus habe der Kläger gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot verstoßen, indem er die anderen Mitglieder der üBAG angewiesen habe, Leistungen entgegen dem Wirtschaftlichkeitsgebot zu erbringen, um wirtschaftliche Vorteile zu erlangen. Außerdem lägen weitere Pflichtverletzungen im Zusammenhang mit den üBAGs vor.

Dagegen ging der Kläger nun vor

Mit seiner vor dem Sozialgericht Potsdam erhobenen Klage bestreitet der Kläger, dass er bei den Genehmigungsanträgen (relevante) Informationen über die üBAGs zurückgehalten habe. Die diffuse Vertragslage ergebe sich lediglich daraus, dass die entsprechenden Verträge von juristischen Laien stammten.

Das Urteil des SG Potsdam

Das SG Potsdam wies die Klage ab. Die Voraussetzungen zur Entziehung hätten vorgelegen. Der beklagte Ausschuss sei zu Recht davon ausgegangen, dass der Kläger seine vertragszahnärztlichen Pflichten in einer eine Entziehung der Zulassung rechtfertigenden Weise gröblich verletzt habe. Entscheidend sei, dass nach der Struktur und Organisation der üBAGs keine durchgehend freiberufliche Tätigkeit aller Mitglieder erfolgt sei und dass gegen das Gebot zur peinlich genauen Abrechnung und gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot verstoßen worden sei. Es stehe zur Überzeugung der Kammer fest, dass keine Beteiligung aller Mitglieder am wirtschaftlichen Risiko erfolgt sei. Die Pflichtverstöße des Klägers seien auch gröblich. Der Entzug sei folglich auch verhältnismäßig. Der über Jahre verursachte Schaden sei erheblich. Der Kläger habe weitreichend in die Therapiefreiheit, in die Abrechnungsvorgänge sowie in den Arbeitsalltag der anderen Zahnärzte eingegriffen. Weiterhin zeige der Kläger nur eine geringe Einsichtsbereitschaft. Die Verstöße seien in ihrer Gesamtheit so gravierend, dass eine zukünftige vertrauensvolle Zusammenarbeit mit dem Kläger nicht möglich sei.

Die Berufung des Klägers bleibt auch erfolglos

Das LSG Berlin Brandenburg bestätigte das Urteil des SG Potsdam und wies die Berufung des Klägers ebenfalls ab. Der beklagte Berufungsausschuss habe den Widerspruch des Klägers gegen den Beschluss des Zulassungsausschusses, mit welchem dieser dem Kläger die vertragszahnärztliche Zulassung entzogen hat, zu Recht zurückgewiesen.

Der Kläger hat seine vertragszahnärztlichen Pflichten auch zur Überzeugung des Senats gröblich verletzt; dies rechtfertige die Entziehung seiner vertragszahnärztlichen Zulassung.

Die Gründe im Einzelnen

Der Kläger habe seine vertragsärztlichen Pflichten in mehrfacher Hinsicht gröblich verletzt. Er habe eine vertragszahnärztliche Tätigkeit in einer überörtlichen Berufsausübungsgemeinschaft (üBAG) organisiert und ausgeübt, die tatsächlich lediglich pro forma, also in der zugelassenen Form nur zum Schein bestanden habe. Die üBAG verletze das Gebot der peinlich genauen Abrechnung. Der Kläger habe schließlich diffuse – für jeden Dritten unübersichtliche und teilweise widersprüchliche Verträge maßgeblich konzipiert – und (allein) durch dieses Verhalten eine Prüfung der Frage, ob die Kooperation dem Recht entspricht, massiv erschwert. Das stelle mit Blick auf die Bedeutung der Genehmigung eine eigenständige Pflichtverletzung dar.

Die Voraussetzungen für die gemeinsame Ausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit lagen für die ab 2008 bis II/2015 (30. Juni 2015) in unterschiedlichen personellen Zusammensetzungen genehmigten insgesamt acht üBAGs nicht vor.

Ein Teil der Mitglieder der üBAG, konkret die nicht an der WSG-GbR als Gesellschafter beteiligten Zahnärzte, trugen, zu keinem Zeitpunkt ein für freie Selbständigkeit typisches relevantes wirtschaftliches Risiko. Das gelte unabhängig davon, ob eine oder mehrere GbR vorlagen. Diese Ärzte waren an der Verwertung des von ihnen erarbeiteten (immateriellen) Wertes der üBAG nicht oder nur sehr unvollkommen beteiligt. Sie waren darüber hinaus in ihrer Dispositionsfreiheit, konkret in der persönlichen Erbringung der ärztlichen Leistungen, eingeschränkt und unterlagen messbaren Einflussnahmen seitens des Klägers.

Die Gesamtschau der Kriterien, insbesondere die Einbeziehung aller vertraglichen Vereinbarungen, zeige, dass hinsichtlich der Mehrheit der üBAG-Angehörigen tatsächlich verdeckte Anstellungsverhältnisse vorlagen.

Die üBAG – und damit der Kläger als dominant und verantwortlich handelnder Vertragszahnarzt – habe durch die missbräuchliche Vertragsgestaltung einer angeblich gemeinsamen Ausübung der vertragszahnärztlichen Tätigkeit die Pflicht zur peinlich genauen Abrechnung verletzt. Sie habe sich vertragszahnärztliches Honorar verschafft, auf das ihre Mitglieder bei Beachtung der vertragsärztlichen Pflichten (und einer Tätigkeit in Einzelpraxis) keinen Anspruch gehabt hätten. Sie habe Honorarbegrenzungsregelungen allgemein, Degressionsregelungen im Besonderen, mit einer Schein-üBAG unterlaufen.

Der Kläger habe somit mit Blick auf die Genehmigung der üBAG gegen vertragsärztliche Pflichten verstoßen. Er sei für die missbräuchliche Ausgestaltung der üBAG verantwortlich.


RA Michael Lennartz

lennmed.de Rechtsanwälte

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