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TI-Urteile zur Honorarkürzung aus München

Das Sozialgericht München hat inzwischen zweimal zur Frage entschieden, ob Honorarkürzungen zulasten von Vertrags(zahn)ärzten, welche sich nicht an die Telematikinfrastruktur (sog. TI) anschließen, rechtens sind (so Urteil vom 09.11.2022 - S 38 KA 5155/21, und Urteil vom 26.01.2023 – S 38 KA 190/20).

Hintergrund

In beiden Verfahren klagten die jeweils zur vertrags(zahn)ärztlichen Versorgung zugelassenen Leistungserbringer gegen pauschale Honorarkürzungen. Diese erfolgten jeweils deswegen, weil die Kläger sich nicht an die TI angeschlossen hatten und daher nicht, wie gesetzlich vorgeschrieben, dass sog. Versichertenstammdatenmanagement durchführten. Beide trugen vor, sich nicht an die TI angeschlossen zu haben wegen datenschutzrechtlicher Gesichtspunkte. Zudem stelle die Verpflichtung zur TI-Anbindung einen Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit dar und im Übrigen seien die Honorarkürzungen auch nicht verhältnismäßig.

Die Entscheidung

Das Sozialgericht gab den beklagten kassen(zahn)ärztlichen Vereinigungen Recht, welche vortrugen, als Körperschaften des öffentlichen Rechts Gesetze umsetzen zu müssen und bzgl. der Honorarabzüge keinen Ermessensspielraum zu haben. Die Münchner Richter führten hierzu auch aus, dass sich das Bundessozialgericht bereits in zwei Klagen von Patienten gegen die elektronische Gesundheitskarte mit den auch hier maßgeblichen Regelungen im SGB V (§§ 291 ff) umfassend auseinandergesetzt und die Regelungen für datenschutzrechtlich unbedenklich sowie mit der Europäischen Datenschutzgrundverordnung als vereinbar angesehen habe. Diese rechtlichen Erwägungen könnten mittelbar und ohne weiteres auch auf das streitgegenständliche Verfahren übertragen werden. Zudem verweist das Sozialgericht München auf eine Entscheidung des Sozialgerichts Stuttgart, welches ebenfalls TI-Honorarkürzungen für rechtmäßig erachtet hatte.

Wie geht es weiter?

Gegen die Urteile des Sozialgerichts München ist jeweils die Berufung vor dem Bayrischen Landessozialgericht möglich, nächste Instanz danach wäre das Bundessozialgericht. Dieses ist mittlerweile auch schon in Sachen TI beschäftigt, die Sprungrevision eines Vertragsarztes aus Rheinland-Pfalz gegen seine TI-Honorarkürzung ist dort seit Dezember 2022 anhängig.

Berufungen gegen weitere erstinstanzliche TI-Urteile laufen weiterhin vor verschiedenen Landessozialgerichten. Mit einem Urteil des Bundessozialgerichts ist aber noch nicht das Ende der gerichtlichen Möglichkeiten zur Klärung der TI-Streitigkeiten erreicht. Nach Erschöpfung des Sozialgerichtlichen Rechtswegs kann noch eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts angestrebt werden und da auch die Europäische Datenschutzgrundverordnung bei der Streitentscheidung eine wesentliche Rolle spielt steht zudem zu erwarten, dass sich auch der Europäische Gerichtshof mit der Telematikinfrastruktur befassen wird; so ließ der klagende Vertragsarzt nach der Urteilsverkündung am 26.01.2023 verlauten, notfalls bis zum Bundesverfassungsgericht oder zum Europäischen Gerichtshof zu ziehen (vgl. https://www.heise.de/news/Sorge-um-Schutz-von-Patientendaten-Gericht-weist-Klage-eines-Arztes-ab-7472301.html).

Von einer höchstrichterlichen Klärung geht auch das Sozialgericht München selbst aus. So äußerte laut Medienberichten die Gerichtssprecherin selbst, dass man eine höchstrichterliche Entscheidung erwarte. Schließlich ginge es um grundsätzliche Fragen, insbesondere, ob die gesetzlich festgelegte Verpflichtung mit höherrangigem Recht wie dem Grundgesetz und der Datenschutzgrundverordnung der EU vereinbar seien (vgl. https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/140548/Sorge-um-elektronische-Patientendaten-Prozess-um-Honorarabzug). Und auch politisch bleibt das Thema Telematikinfrastruktur brisant, die Kassenärztliche Vereinigung Bayern verlautbarte am Abend des Gerichtstermins vom 26.01.2023 gegenüber der Presse selbst: „Auch nach dem heutigen Beschluss des Sozialgerichts bleiben wir dabei: Repressionen und Sanktionen wie die Honorarkürzungen bei Nichtanbindung an die Telematikinfrastruktur sind der falsche Weg, um innerhalb der Ärzteschaft Akzeptanz für die Digitalisierung des Gesundheitswesens zu schaffen.“ (vgl. https://www.frankenpost.de/inhalt.prozess-sorge-um-datenschutz-arzt-klagt-gegen-honorarabzug.896ffc92-4550-43ff-90d6-35809422acc7.html).


Rechtsanwältin Walburga van Hövell, LL.M. (Medizinrecht)

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