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Unterstützungspflicht der Krankenkassen für Schadensersatzprozesse bei Behandlungsfehlern

Nach dem Gesetz sollen die Krankenkassen die Versicherten bei der Verfolgung von Schadensersatzansprüchen, die bei der Inanspruchnahme von Versicherungsleistungen aus Behandlungsfehlern entstanden sind und nicht auf die Krankenkassen übergehen, unterstützen. Wie weit diese Unterstützung reicht, hatte das LSG Niedersachsen-Bremen mit Urteil vom 25.05.2023 - L 16 KR 433/22 - zu entscheiden.

Der Sachverhalt

Der klagende Patient wandte sich wegen eines vermuteten Behandlungsfehlers an seine gesetzliche Krankenkasse und bat um Unterstützung. Im Krankenhaus sei ohne medizinische Notwendigkeit eine Zirkumzision (Beschneidung) durchgeführt worden. Seitdem leide er u. a. unter Impotenz, Erektions- und Ejakulationsstörungen sowie einer Anpassungsstörung (F 43.2G). Sein Ziel sei es, ein funktionsfähiges und schmerzfreies Geschlechtsteil wiederzuerlangen, notfalls durch Transplantation einer funktionsfähigen Ersatzvorhaut. Zudem beabsichtige er, Schmerzensgeld einzuklagen und Strafanzeige wegen Körperverletzung zu stellen.

Die beklagte Krankenkasse holte ein Gutachten des Medizinischen Dienstes (MD; vormals: MDK) ein, welcher das Vorliegen eines möglichen Behandlungsfehlers verneinte. Weitere Unterstützung lehnte sie ab.

Die Entscheidung

Klage und Berufung mit dem Antrag, das für falsch erachtete Gutachten des MD für nichtig zu erklären, blieben erfolglos.

Mit deutlichen Worten führt das LSG Niedersachsen-Bremen aus, die gesetzlich vorgeschriebene Unterstützung solle dem Versicherten die Beweisführung erleichtern, also ihm die für eine Rechtsverfolgung essenziellen Informationen zugänglich machen. Unterstützungsleistungen beschränkten sich regelmäßig auf die Verschaffung von Auskünften über die vom Arzt gestellten Diagnosen, die angewandte Therapie, die Namen der Behandler, die Anforderung ärztlicher Unterlagen von der Behandlung einschließlich Röntgenaufnahmen etc. und die Begutachtung durch den MD.

Diesen Anforderungen sei die Beklagte nachgekommen. Sie sei nicht zu initiativen weiteren Recherchen zu Gunsten des Versicherten verpflichtet, bis der vermeintliche Behandlungsfehler nachgewiesen sei. Infolgedessen habe der Kläger auch nur Anspruch auf Durchführung einer Begutachtung durch den MD, nicht jedoch auf ein für ihn günstiges Gutachtenergebnis. Der Umstand, dass er mit dem Ergebnis des Gutachtens nicht einverstanden sei, verpflichte die Krankenkasse nicht zur Einholung eines weiteren Gutachtens.

Hinweise für die Praxis

Die im Gesetz angeordnete Unterstützung des Versicherten durch die Krankenkasse erfasst die gerichtliche, vorgerichtliche und außergerichtliche Rechtsverfolgung von zivilrechtlichen Schadensersatzansprüchen wegen eines Behandlungsfehlers oder auch wegen eines Fehlers bei der Selbstbestimmungsaufklärung. Die Erfolgsaussichten spielen grundsätzlich keine Rolle.

Die Schadensersatzansprüche erstrecken sich auf materiellen (etwa Ersatz für Zuzahlungen, für Pflegemehraufwand oder Verdienstausfall) und immateriellen Schadensersatz (Schmerzensgeld). Alle anderen Ansprüche gehen in der Regel auf die Krankenkasse über und sind von ihr selbst zu verfolgen.

Behandlungsfehler und Versicherungsleistung müssen dabei unmittelbar zusammenhängen. Das ist grundsätzlich weder bei medizinisch nicht indizierten Maßnahmen der Fall („Wellnessmedizin“, bloße Schönheitsoperationen) noch bei Individuellen Gesundheitsleistungen („IGeL“) oder bei der Versorgung mit über die Regelversorgung hinausgehendem Zahnersatz, die der Patient selbst bezahlt oder über eine private Versicherung finanziert. Es genügt jedoch eine Kostenbeteiligung der Krankenkasse (z. B. wenn der Versicherte im Krankenhaus Wahlleistungen in Anspruch genommen und die Krankenkasse sich in Höhe des allgemeinen Pflegesatzes beteiligt hat).

Art und Umfang der möglichen Unterstützung durch die Krankenkasse sind im Gesetz nicht abschließend genannt. Die Unterstützung kann insbesondere die Prüfung der von dem Versicherten vorgelegten Unterlagen auf Vollständigkeit und Plausibilität, die Anforderung weiterer Unterlagen bei den Leistungserbringern, die Veranlassung einer sozialmedizinischen Begutachtung durch den MD sowie eine abschließende Gesamtbewertung aller vorliegenden Unterlagen umfassen. Nicht in den Aufgabenkreis der Krankenkasse fällt jedoch die Übernahme der Kosten der Rechtsverfolgung durch Finanzierung von (Privat-)Gutachter-, Rechtsanwalts- oder Gerichtskosten oder gar die Durchsetzung der Ansprüche anstelle des Versicherten. Ausgeschlossen ist auch die Ermittlung der Höhe eines Schmerzensgeldanspruchs oder die Empfehlung bestimmter Sachverständiger.


RA Detlef Kerber

lennmed.de Rechtsanwälte

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