Skip to main content

Wie weit geht das Neutralitätsgebot einer Krankenkasse bei Werbung?

Mit dieser Fragestellung hatte sich das Bundessozialgericht in einem interessanten Fall (Az.: B 3 KR 5/21 R) von Werbung in einer Mitgliederzeitschrift einer Krankenkasse zu befassen. Zu klären war auch, ob es sich um eine unzulässige Beeinflussung handelte und insoweit ein Unterlassungsanspruch gegen die Krankenkasse bestand.

Sachverhalt

Eine Krankenkasse fügte ihrer kostenlosen Mitgliederzeitschrift für die Versicherten eine Werbebeilage einer Versandapotheke bei, mit der diese u.a. auf ihren Rezeptbonus und einen Kennenlern-Vorteil bei Rezepteinsendung durch Neukunden hinwies. Bestandteil der Werbebeilage war außerdem ein an die Versandapotheke adressierter Freiumschlag für die Rezepteinsendung. Das Impressum der Zeitschrift wies die Krankenkasse als Herausgeberin aus und enthielt den Hinweis, dass zur Refinanzierung in der Ausgabe gewerbliche Anzeigen sowie Beilagen zu finden seien und sämtliche Anzeigen gekennzeichnet und keine Empfehlung der Krankenkasse darstellten.

Nach erfolgloser Abmahnung klagten ein Apothekerverein und ein Apothekeninhaber auf Unterlassung und Erstattung der vorgerichtlichen Abmahnkosten. Die Beifügung der Werbebeilage in der Mitgliederzeitschrift verstoße gegen die wettbewerbliche Neutralitätspflicht, die in § 31 Abs 1 Satz 6 SGB V und § 7 Abs 1 AVV (bundesweit geschlossener Arzneiversorgungsvertrags – AVV) geregelt sei. Das angerufene SG  (SG Hamburg – S 8 KR 1552/17, Urt. v. 1.10.2019) verneinte den Unterlassungsanspruch und entsprechend auch den Kostenerstattungsanspruch. Im Berufungsverfahren bestätigte das Berufungsgericht (LSG Hamburg, Beschl. v. 12. November 2020 – L 1 KR 5/20) das landgerichtliche Urteil. Eine Beeinflussung der Versicherten durch die beklagte Krankenkasse zugunsten der Versandapotheke sei nicht zu erkennen, weil die Beifügung der Werbebeilage im Impressum der Mitgliederzeitschrift unter Distanzierung vom Inhalt der Werbebeilage erfolgt sei. Mit ihren Revisionen zum BSG verfolgen die Kläger ihr Unterlassungsbegehren weiter.

Die Entscheidung

Das BSG sah die Voraussetzungen des Unterlassungsanspruchs als gegeben an und hob die vorgegangenen Entscheidungen auf. Die beklagte Krankenkasse sei zur zukünftigen Unterlassung von Werbung in ihrer Mitgliederzeitschrift zum Bezug von Arzneimitteln bei einer bestimmten Apotheke sowie zur Zahlung der vorgerichtlichen Abmahnkosten verpflichtet.

Den Klägern stehe ein allgemeiner öffentlich-rechtlicher Unterlassungsanspruch zu. Dieser setze die Rechtswidrigkeit eines schlicht-hoheitlichen Verwaltungshandelns, die Verletzung eines subjektiven Rechts und ein Andauern der Verletzung oder eine Wiederholungsgefahr voraus. Die in Rede stehende Werbung verstoße sowohl gegen das vertragliche Beeinflussungsverbot aus dem zwischen den Beteiligten geltenden Arzneiversorgungsvertrag, § 7 Abs. 1 AVV, als auch gegen die 2020 eingefügte entsprechende gesetzliche Regelung, § 31 Abs 1 Satz 6 SGB V. Nach dem öffentlich-rechtlich geordneten Leistungserbringungsrecht der gesetzlichen Krankenversicherung sei jede Beeinflussung von Versicherten zugunsten bestimmter Leistungserbringer, die sich mit der Neutralitätspflicht der Krankenkassen im Wettbewerb der Leistungserbringer rechtlich nicht vereinbaren ließen, unzulässig.

Rechtswidrige Beeinflussung von Versicherten

Ausgehend vom Sinn und Zweck dieser vertraglichen und gesetzlichen Regelungen liege eine rechtswidrige Beeinflussung von Versicherten nicht erst vor, wenn Krankenkassen selbst und gezielt ihre Versicherten auf eine bestimmte Apotheke hinwiesen, um die Einlösung von Verordnungen dort zu bewirken. Vielmehr genüge es, wenn sie es den Versicherten durch die Beifügung einer wie hier gestalteten, unmittelbar auf eine Beeinflussung zur Einlösung von Rezepten bei ihr zielenden Werbebeilage einer Versandapotheke in der von der Krankenkasse herausgegebenen Mitgliederzeitschrift ermöglichten und vereinfachten, Verordnungen bei der werbenden Versandapotheke einzulösen, was unter Verstoß gegen die von den Krankenkassen einzuhaltende Neutralitätspflicht wirtschaftlich zulasten aller weiteren Apotheken gehe. Dass auch alle diese Apotheken in dieser Weise in der Mitgliederzeitschrift werben könnten, sei ausgeschlossen; dies mache deutlich, dass von der Krankenkasse mit der Beifügung der Werbebeilage eine Auswahlentscheidung getroffen worden sei, die zudem – jedenfalls wegen des für die Beifügung erhaltenen Entgelts zur Refinanzierung der Zeitschrift – in ihrem wirtschaftlichen Eigeninteresse liege. Das rechtfertige es, der Krankenkasse die auf eine Beeinflussung von Versicherten zielende Werbebotschaft der Versandapotheke als eigene Beeinflussung der Versicherten zuzurechnen.

Hinweis im Impressum unbeachtlich

Von der Zurechnung der Werbebotschaft eines Dritten in der ihrerseits Werbezwecken im Kassenwettbewerb dienenden Mitgliederzeitschrift zu den Krankenkassen könne sich die Krankenkasse durch den im Impressum enthaltenen Hinweis nicht freizeichnen. Es komme nicht darauf an, wie die angesprochenen Versicherten als Verbraucher und mündige Leser die Werbung verstünden, sondern wozu die beklagte Krankenkasse rechtlich gegenüber den Klägern verpflichtet sei. Maßgeblich sei insoweit das öffentlich-rechtlich geordnete Leistungserbringungsrecht der gesetzlichen Krankenversicherung.

Verstoß gegen Gleichheitsgrundsatz

Die gleichheitswidrige Bevorzugung eines bestimmten Leistungserbringers im Apothekenwettbewerb verletze die Kläger als Wettbewerbsteilnehmer auch in ihrer grundrechtlich durch Art. 12 Abs. 1 GG und Art. 3 Abs. 1 GG gewährleisteten Wettbewerbsstellung, die sie bei Verletzungen durch eine Krankenkasse mittels des allgemeinen öffentlich-rechtlichen Unterlassungsanspruchs gegen die Krankenkasse durchsetzen könnten.

Fazit

Das BSG hat in der aktuellen Entscheidung nochmals klargestellt, dass die Neutralitätspflicht der Krankenkassen im Wettbewerb der Leistungserbringer dem Recht der gesetzlichen Krankenversicherung seit jeher immanent ist und in den grundrechtlichen Vorgaben der Berufsfreiheit der Leistungserbringer und deren Gleichbehandlungsanspruch wurzelt. Die Bewertungsmaßstäbe für den Krankenkassen zuzurechnende Werbung von Dritten folgen, da Krankenkassen als Körperschaften öffentlichen Rechts grundsätzlich Grundrechtsverpflichtete sind, nicht aus dem zivilrechtlichen Lauterkeitsrecht, sondern aus dem öffentlich-rechtlich geordneten Leistungserbringungsrecht der gesetzlichen Krankenversicherung.


Bita Foroghi, LL.M. oec.

lennmed.de Rechtsanwälte

Bonn | Berlin | Baden-Baden