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„Wohlverhalten“ zur Vermeidung der vertragsärztlichen Zulassungsentziehung erfordert mehr als bloße Untätigkeit – Mitwirkung ist gefragt!

Das Sozialgericht Marburg (S 12 KA 116/19) hat am 06.04.2021 entschieden, dass das sogenannte „Wohlverhalten“ im berufsrechtlichen Sinne zur Vermeidung der Entziehung der vertragsärztlichen  Zulassung mehr erfordert, als nur keine weiteren Pflichtverstöße mehr zu begehen.

Der Vertragsarzt muss – so das Gericht – „aktiv an der Aufklärung der Verfehlungen, der Schadensbegrenzung und Schadensregulierung mitwirken. Überlässt es der Vertragsarzt den Zulassungs- und Prüfgremien sowie der Kassenärztlichen Vereinigung, den Schaden allein im Rahmen deren Amtsermittlungspflicht festzustellen, so fehlt es an einem „Wohlverhalten“. Soweit der Vertragsarzt in die Lage gerät, sich auch im Hinblick auf laufende Strafverfahren selbst zu beschuldigen, steht es ihm frei zu entscheiden, in welchem Umfang er mitwirkt.“

Der Fall

Einem innerhalb einer BAG tätigen Facharzt für Innere Medizin, der darüber hinaus als Bereitschaftsarzt tätig war, ist auf Grundlage erfolgter Plausibilitätsprüfungen über einen Zeitraum von vier Jahren mit Honorarrückforderungen in Höhe von insgesamt über einer Millionen Euro konfrontiert worden, wobei die Rückforderungen teilweise in Rechtskraft erwachsen, teilweise noch streitig waren.

Das SG Marburg führte in einem zu den Rückforderungen geführten Verfahren in den Urteilsgründen unter anderem aus, dass allergrößte Zweifel daran bestünden, dass die fraglichen Abrechnungsfehler des Facharztes noch mit einem anderen Grad des Verschuldens zu erklären seien, als dem des vorsätzlichen Handelns. Die über die streitgegenständlichen Quartale hervortretenden Abrechnungsmuster deuteten vielmehr sehr stark auf ein planvolles und zielgerichtetes Vorgehen zur Erlangung eines rechtswidrigen Honorarzuwachses hin (vgl. SG Marburg, Urt. v. 21.07.2017 - S 16 KA 362/15).

Dies hatte zur Folge, dass beim Zulassungsausschuss der KV Hessen die Entziehung der Zulassung wegen gröblicher Verletzung der Vertragsarztpflicht beantragt worden ist. Nachdem sich der betroffene Facharzt nur schriftlich über einen Rechtsanwalt einließ und der mündlichen Verhandlung des Zulassungsausschusses fern blieb, entzog ihm dieser im Beschlusswege die Zulassung, wogegen sich der Facharzt im hier gegenständlichen Verfahren zu wehren versuchte. Er führte unter anderem an, dass die Vorwürfe teils acht oder zehn Jahre zurückliegen, er sich keine weiteren Verstöße seitdem vorwerfen müsse und rechtskräftige Rückforderungen bereits gezahlt habe.

Die Urteilsgründe

Das SG Marburg bestätigte die Zulassungsentziehung unter Verweis auf das BSG, wonach eine Pflichtverletzung gröblich sei, wenn sie so schwer wiege, dass ihretwegen die Entziehung zur Sicherung der vertragsärztlichen Versorgung notwendig sei. Davon sei dann auszugehen, wenn durch sie das Vertrauen der vertragsärztlichen Institutionen in die ordnungsgemäße Behandlung der Versicherten und in die Rechtmäßigkeit der Abrechnungen durch den Vertragsarzt so gestört sei, dass ihnen eine weitere Zusammenarbeit mit dem Vertragsarzt nicht mehr zugemutet werden könne. Nicht erforderlich sei, dass den Vertragsarzt ein Verschulden treffe; auch unverschuldete Pflichtverletzungen können zur Zulassungsentziehung führen (u.a. unter Verweis auf BSG, Beschl. v. 25.11.2020 - B 6 KA 36/19 B).

Im vorliegenden Fall stellte das Gericht klar, dass die „Verpflichtung zur peinlich genauen Abrechnung“ zu den „Grundpflichten des Arztes“ gehöre, sodass wiederholt unkorrekte Abrechnungen die Zulassungsentziehung rechtfertigen können (u.a. unter Verweis auf BSG, Urt. v. 24.11.1993 - 6 RKa 70/91). Dem habe der Facharzt nicht genügt, wobei es entscheidungserheblich nicht auf einzelne bestandskräftige oder nicht bestandskräftige Rückforderungen ankomme. Ebenso wenig seien etwaige Einstellungen der Staatsanwaltschaft im Strafverfahren oder Negativprognosen in Bezug auf künftiges Abrechnungsverhalten entscheidungserheblich. Der Facharzt hätte hier nur in der Weise positiv auf die Entscheidung Einfluss nehmen können, indem er aktiv an der Aufklärung der Verfehlungen, der Schadensbegrenzung und der Schadensregulierung mitgewirkt hätte und die zuständigen Gremien nicht auf deren Amtsermittlungspflicht verwiesen hätte.

Fazit

Die Entscheidung des Sozialgerichts Marburg macht im Falle von Unregelmäßigkeiten bei der Abrechnung das Spannungsfeld zwischen Berufs- und Strafrecht deutlich. Einerseits kann ein negativer Verlauf des Strafverfahrens Grundlage einer negativen Entscheidung des Zulassungsausschusses bilden, andererseits kann aber auch die unterbliebene Mitwirkung bei der Sachverhaltsaufklärung zu berufsrechtlichen Konsequenzen führen. Letztlich muss am Einzelfall entschieden werden, welcher Umgang mit Vorwürfen im Einzelfall den prognostisch geringsten Schaden für die weitere Erwerbstätigkeit bedeutet. Dabei sind natürlich ganz entscheidend, welche Summe im Raum steht und wie wahrscheinlich eine vorsätzliche Straftat aufgrund der Abrechnungsweise begangen worden sein könnte.


Rechtsanwalt Marius Luciano, LL.M. Medizinrecht
lennmed.de Rechtsanwälte
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