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Chance für höchstrichterliche Klärung eines Kopftuchverbotes in der Arbeitswelt nicht genutzt

In unserem Newsletter-Beitrag vom 19.01.2023 hatten wir eine aktuelle Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vorgestellt, nach der Kopftuchverbote am Arbeitsplatz unter bestimmten Umständen für zulässig erklärt wurden. Dabei hatten wir auf eine Terminankündigung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 30.03.2023 hingewiesen. Das höchste deutsche Arbeitsgericht war angerufen worden, darüber zu befinden, ob die Frage nach dem Tragen eines islamischen Kopftuches bei der Besetzung der Stelle einer Erzieherin in einer städtischen Kindertagesstätte eine unzulässige Benachteiligung wegen der Religion darstellt und der Arbeitgeber nach dem AGG deshalb eine Entschädigung zahlen muss.

Die Fachwelt hatte dabei die Erwartung gehegt, dass das BAG eine grundsätzliche dogmatische Linie für den vom EuGH geforderten Abwägungsvorgang unter Einbezug der Rechtsprechung auch des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) entwickeln werde, die auch für Arzt- und Zahnarztpraxen Geltung beanspruchen würde.

Keine Entscheidung des BAG ergangen

Zu dieser Klärung ist es allerdings nicht gekommen. Der Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem BAG am 30.03.2023 in dem Verfahren 8 AZR 126/22 wurde aufgehoben. Die Revision wurde zurückgenommen. Es bleibt damit bei der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts (LAG) Hessen vom 15.11.2021 - 7 Sa 1341/19. Danach hat die beklagte Stadt der klagenden Sozialpädagogin eine Entschädigung in Höhe von 1,5 Bruttomonatsgehältern nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) zu zahlen.

Das LAG Hessen hatte ausgeführt, auch wenn beim zukünftigen Arbeitgeber eine Neutralitätsanordnung bestehe, nach der jede Bekundung einer Religion oder Weltanschauung, insbesondere das Zeigen und Tragen von Kleidungsstücken mit religiöser Symbolik, verboten sei, liege zumindest eine mittelbare Diskriminierung wegen der Religion vor, wenn danach eine Stellenbesetzung unterbleibe. Eine solche Neutralitätsanordnung sei nur dann gerechtfertigt, wenn sie einem wirklichen Bedürfnis des Arbeitgebers diene. Dieser habe zu belegen, dass eine hinreichend konkrete Gefahr der Beeinträchtigung des Ziels der Neutralität bestehe, wie beispielsweise die Gefahr konkreter Unruhe innerhalb des Unternehmens oder die konkrete Gefahr von Ertragseinbußen.

In einem ähnlichen Sachverhalt hatte das BAG über das Berliner Neutralitätsgesetz entschieden. Einer Muslimin wurden 5.129 € Entschädigung wegen Diskriminierung zugesprochen, weil sie wegen ihres Kopftuches nicht in den Schuldienst des Landes Berlin eingestellt worden war (BAG, Urteil vom 27.08.2020 - 8 AZR 62/19).

Eine hiergegen gerichtete Verfassungsbeschwerde hat das BVerfG nicht zur Entscheidung angenommen (BVerfG, Beschluss vom 02.02.2023 - 1 BvR 1661/21).

Rechtslage für private Arbeitgeber noch nicht abschließend entschieden

Zumindest für den Bereich öffentlicher Arbeitgeber dürfte damit eine gewisse Ruhe eingekehrt sein. Im privaten Arbeitsrecht, also gerade auch für Arzt- und Zahnarztpraxen, ist das letzte Wort aber noch nicht gesprochen. Denn hierbei sind auch europarechtliche Vorgaben zu beachten. So betont der EuGH grundsätzlich die unternehmerische Freiheit, die in Art. 16 der EU-Grundrechtecharta ausdrücklich gewährleistet ist. Diese kann im Einzelfall auch die Freiheit einschließen, die Beschäftigten anzuweisen, das Kopftuch abzunehmen.


RA Detlef Kerber

lennmed.de Rechtsanwälte

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