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Entscheidungen zum Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung

Sowohl das Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern (LAG) (Entscheidung vom 08.02.2023 - 3 Sa 135/22), als auch das LAG Niedersachsen (Urt. v. 08.03.2023, Az.: 8 Sa 859/22) befassten sich kürzlich mit dem Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung.

Hintergrund zur ersten Entscheidung

Der Arbeitnehmer war in der Zeit vom 15.02.2021 bis zum 31.03.2022 bei der Beklagten als Assistenzarzt gegen ein Bruttomonatsentgelt in Höhe von 4.500,00 EUR beschäftigt. Am 28.02.2022 kündigte der Arbeitnehmer das Arbeitsverhältnis fristgemäß zum 31.03.2022. Danach kam er weiterhin seinen arbeitsvertraglichen Verpflichtungen nach.

Am 11.03.2022, einem Freitag, hatte der Kläger einen Tag Urlaub. Am vorhergehenden Donnerstag hatte der Kläger die Büroschlüssel sowie den Schlüssel zum medizinischen Aktenschrank auf seinem Schreibtisch liegen lassen. Private Gegenstände des Klägers befanden sich zu diesem Zeitpunkt nicht in seinem Büro.

Am Montag, dem 14.03.2022 meldete sich der Kläger krank und reichte eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 14.03.2022 ein, welche eine Ausfallzeit bis zum 31.03.2022, einem Donnerstag, bescheinigte.

Am 15.03.2022 teilte der Kläger der Chefsekretärin mit, dass sich seine Büroschlüssel und sein Schlüssel zum medizinischen Aktenschrank in seinem Büro befänden.

Die Beklagte weigerte sich daraufhin die Hälfte des letzten Monatsgehaltes zu bezahlen, woraufhin der Arbeitnehmer klagte.

Beklagte sieht Beweiswert erschüttert

Die beklagte Arbeitgeberin sieht den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung als erschüttert an. Bereits die Datierung der Krankschreibung auf einen Donnerstag sei unüblich. Zudem komme die Tatsache, dass das Arbeitszimmer des Klägers vollständig aufgeräumt gewesen sei und sich weder dienstliche noch private Gegenstände in dem Zimmer befunden hätten.

Kläger wehrt sich

Der Kläger wiederum sah in seiner dem Arbeitgeber eingereichten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, welche die Diagnose Rückenschmerzen enthielt, eine ausreichende Erklärung an. Zudem stellte er eine Entbindung des Arztes von der Schweigepflicht frei. Bei der Diagnose handele es sich laut ärztlichem Bericht um eine Psychosomatisch bedingte Stressreaktion.

Private Gegenstände habe er in seinem Zimmer bereits deshalb nicht hinterlassen, weil auch andere Personen Zugang zu seinem Büro gehabt hätten. Außerdem sei er ein Mann, der keine privaten Gegenstände in seinem Büro benötige. Dies gelte erst recht vor dem Hintergrund, dass das Arbeitsverhältnis nur ca. ein Jahr bestanden habe.

An dem Donnerstag habe er seine Büroschlüssel im Büro schlicht vergessen. Dies sei immer mal wieder passiert, auch anderen Kollegen.

Auch sei es völlig normal gewesen, dass sich in seinem Büro keine Patientenakten mehr befunden hätten. Zum einen sei er ohnehin immer bemüht gewesen, diesbezüglich tagfertig zu sein. Zudem sei zu berücksichtigen, dass der ihm vorgesetzte Arzt ebenfalls habe Urlaub nehmen wollen. Um einen geordneten Übergang zu gewährleisten, sei es im Hinblick auf sein Ausscheiden zum 31.03.2023 erforderlich gewesen, die Patientenakten zu fertigen und seinem Chef zur Verfügung zu stellen.

Entscheidung des Gerichts

Das Arbeitsgericht gab dem Kläger in erster Instanz recht. In der nächsten Instanz wurde nun auch die Berufung der Beklagten vom LAG zurückgewiesen. Dem Kläger habe ein Anspruch aus § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG für die Krankheitsbedingte Ausfallzeit zugestanden.

Der Kläger habe auf der ersten Stufe ausreichend und anspruchsbegründend einen entsprechenden Entgeltfortzahlungsanspruch dargelegt, indem er die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung seines Hausarztes der Beklagten mit einem Krankschreibungszeitraum vom 14.03.2022 – 31.03.2022 vorgelegt hat.

Voraussetzung für Erschütterung des Beweiswerts

Grundsätzlich ist für die Erschütterung des Beweiswerts erforderlich, dass nach Maßgabe eines verständigen Arbeitgebers objektiv greifbare Tatsachen feststellbar und gegebenenfalls beweisbar sind, die ein Ergebnis der ernsthaften Zweifel an einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung tragen können. Liegen dagegen – wie hier – lediglich objektiv mehrdeutig plausibel erklärbare Sachverhalte vor, so sind diese – jedenfalls grundsätzlich – nicht geeignet, ernsthafte Zweifel an einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung im Sinne der zitierten Rechtsprechung begründen zu können.

Erschütterungsmöglichkeit des Arbeitgebers

Zwar ist nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts anerkannt, dass der Arbeitgeber den Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung dadurch erschüttern kann, dass er tatsächliche Umstände darlegt und im Bestreitensfall beweist, die ernsthafte Zweifel an der Erkrankung des Arbeitnehmers ergeben mit der Folge, dass der ärztlichen Bescheinigung kein Beweiswert mehr zukommt.

Zudem ist mit der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts davon auszugehen, dass der Arbeitgeber diesbezüglich nicht auf die in § 275 Abs. 1a SGB V ausgeführten Regelbeispiele beschränkt ist, sondern sich ernsthafte Zweifel auch darüber hinaus nach dem gesamten Vortrag der Parteien ergeben können.

Im Zuge der diesbezüglich näheren Ausformung der wechselseitigen Darlegungslast der Parteien ist zu beachten, dass der Arbeitgeber grundsätzlich keine Kenntnis von den genauen Krankheitsursachen hat und nur in eingeschränktem Maß in der Lage ist, die Tatsachen zur Erschütterung des Beweiswertes einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorzutragen. Mithin muss der Arbeitgeber gerade nicht, wie bei einer gesetzlichen Vermutung, Tatsachen darlegen, die dem Beweis des Gegenteils zugänglich sind.

Entscheidung des LAG Niedersachsen

Das LAG Niedersachsen hatte einen ähnlich gelagerten Fall eines Zeitarbeitnehmers zu prüfen, der sich nach seiner arbeitgeberseitigen Kündigung krankmeldete und am Tag nach dem Ende des Arbeitsverhältnisses, auf welchen auch die Krankschreibung fiel, wieder in einer anderen Position tätig werden konnte.

Das LAG entschied, dass der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung auch hier noch nicht erschüttert sei.

Weil dies indes eine Korrektur bzw. Differenzierung der Bundesarbeitsgerichts (BAG) -Rechtsprechung bedeutet, wurde die Revision zugelassen. Das BAG nahm bisher an, dass eine Erschütterung des Beweiswerts insbesondere dann vorliegen kann, wenn die bescheinigte Arbeitsunfähigkeit passgenau die Dauer der Kündigungsfrist umfasst (zeitliche Koinzidenz), sofern der der Arbeitnehmer sein Arbeitsverhältnis kündigt (BAG, Urteil vom 8. September 2021 - 5 AZR 149/21).

Fazit

Die Hürden zur Erschütterung des Beweiswertes einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bleiben damit weiterhin hoch. Ausnahmen, wie der Fall in unserem vorherigen Beitrag, sind „rar gesäht“. 


Robert Prümper

lennmed.de Rechtsanwälte

Bonn |Berlin | Baden-Baden